Kingdoms OT

Anora

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Wird erledigt... Irgendwann... ;)

Ja kann ich schon verstehen irgendwie, manchmal geht's mir auch so, aber das ist wirklich der erste Schritt zum endgültigen Ausstieg. In dem Moment, in dem du diesen Gedanken im Hinterkopf nämlich nicht mehr hast, wirst du irgendwann merken, dass es auch ohne geht und vielleicht sogar ganz angenehm ist, so ohne Druck - Und dann kommst du nicht wieder. :(
Und irgendwann findet man bei allen Lebenskrisen oder was auch immer es sonst ist mal ein bisschen Zeit und Motivation zum Schreiben. Und wenns mal wieder länger dauert, schnapp dir ein Sni... Lass dir Zeit, mach dir keinen Druck und lass dir nicht den Spaß daran verderben! :)
 

Darghand

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Sni...pergewehr? :confused:

Aber hast schon recht. Ich hab mir die letzten Wochen überhaupt keine Gedanken mehr um Kingdoms gemacht, der Anfang von dem Post vergammelte auf der Platte und nun, nach weniger Unistress, hat es sich endlich wieder wie von selbst geschrieben.

Kingdoms ist inzwischen eh wie das Forum - ohne Ausgänge. :D
 
Zuletzt bearbeitet:

Anora

Wanderer
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Das wär auch eine Möglichkeit, ja, aber ich dachte doch eher an Sni...ckers. ;)

Na also da kann ich nur für meine Methode sprechen - Gerade wenn man wenig Zeit hat. Einfach auf Papier schreiben, wenn einem gerade danach ist. Das ist bei mir meistens nachts zu unmöglichen Zeiten wenn ich schon im Bett liege, oder aber in extrem langweiligen Vorlesungen (Also fast allen!). Die meisten Ideen für neue Posts (Und kurz darauf die geschriebenen Versionen...) entstehen aber, wenn ich nach Hause fahre. Bei drei Stunden Autofahrt hat man viiiel Zeit zum Nachdenken! ;)
Für "Ich setze mich jetzt an den Computer und schreibe Kingdoms!" bin ich irgendwie so gar nicht zu motivieren. Und da kommt dann auch immer nur Murks raus. :D

Ohne Ausgänge? Hach, ich glaube da wurdest du bereits mehrfach widerlegt. :c:
Oder vielleicht schließen sich die Ausgänge ja auch mit zunehmender Mitschreiberzeit? Schließlich halten ja nicht allzu viele lange genug durch, um zum harten Kern zu gehören. ;)
 

Alyndur

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@Dargh

Insgesamt schöne Detailmalerei! Ich hab aber leider deinen OT-Post zuerst gelesen, da war die Überraschung am Ende weg. :rolleyes:
 

Alyndur

Zwielichtiger
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Um die Phrasen unserer Ritter etwas mit Leben zu füllen, hab ich mal so eine Art Schöpfungsgeschichte entworfen, die ab heute in den Archiven von Nordend einsehbar ist. Ihr müsst mir sagen, wenn ihr euch an irgendetwas stoßt. Für pornographische Inhalte kann allerdings nicht gehaftet werden. ;)
 

Alyndur

Zwielichtiger
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Die Stunde des Morgenrots​
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[size=+1]Prolog: Das Verhängnis des Nordens[/size]


Es begab sich vor langer Zeit, als unsere Welt schon alt, das Volk der Menschen aber jung war, dass einige von ihnen bis in die nördlichsten Gefilde vordrangen, die diesseits des großen Gebirges lagen, und sie ihr Eigen nannten.
Ihre Reiche erstreckten sich von der südlichen Grenze der Ebenen, in denen heute das Schweigen regiert, bis zu den Füßen der weißen Berge, über denen die Adler schrien, und in deren Höhen die Welt in noch viel älteren Tagen mit dem Äther verbunden gewesen war.
Obgleich die meiste Zeit des Jahres über ein kühler Hauch das Land umwehte, konnte man eine ertragreiche Ernte einholen. Das matte Licht, das die ferne Sonne in die rauen Gefilde entsandte, tauchte die kältlichen Landen, ihre weiten Hügelwälder, die mächtigen Seen, ihre reißenden Flüsse und die westliche Meeresküste in einen Zauber von düsterer Schönheit, dem sich die Herzen der Ansiedler nicht lange zu entziehen vermochten.

Es war jedoch zu jener Zeit, als Hiberna, eine Göttin aus alten Tagen, die Mächte des Winters an ihren Willen gebunden hatte und nach Belieben über seine Gewalten verfügte. Ihre Kraft war in den nördlichen Landen besonders groß, denn dort gedieh oder verdarb alles Leben in der Gunst oder der Ungunst des Winters. Da die Seele der kalten Herrin von maßloser Selbstgefälligkeit und zügelloser Machtlust erfüllt war, erschien sie den Neuankömmlingen bald, nachdem sie sich in stillem Glück und Frohsinn in den wunderbaren Landen ihrer Herrschaft niedergelassen hatten.
Niemand von ihnen vermochte mehr eine Rückkehr aus seiner neuen Heimat zu erwägen, doch niemand vermochte auch zu ahnen, welcher Preis dafür zu entrichten sein würde.
Die Wintergöttin hieß die Menschen aufs Herzlichste willkommen. Sie lud dazu ein, den Gottheiten des fernen Südens abzuschwören und fortan ihr zu frönen und zu opfern. Im Gegenzuge würde sie versprechen, dass die Bewohner des Gebiets ihrer Herrschaft über Generationen hinweg nur mit dem höchsten Maße an Milde und Zuneigung von ihr bedacht würden. Dieser Bund sollte so lange andauern, wie Menschen gedenken konnten, bis zu jenem Tage hin, da das Schicksal den Welten gebieten würde, sich von neuem zu formen.
Obgleich die Nordländer ihre neu erschlossenen Reiche um keiner Sache willen bedroht wissen wollten, blieben sie den südlichen Bräuchen aufs Innigste verbunden, die doch ihren Vätern und Vorvätern über Zeitalter hinweg Leben und Wohlstand gesichert hatten. Den meisten unter ihnen dünkte kein anderer Ritus der richtige, als die Fruchtbarkeitsgöttin Ferun für einen baldigen Frühling und einen langen Sommer gnädig zu stimmen, wie es seit jeher in ihren Blutlinien geschehen war. Und so wies man die Gnade der Wintergöttin zurück.
Als Hiberna aber erfuhr, dass sich die Menschen ihrem großzügigen Angebot verweigerten, verlieh sie ihrer Wut mit Hilfe der ihr untergebenen Kräfte Ausdruck und hauchte ihrem alten Rufe der furchtbaren Rachsucht und der Unversöhnlichkeit den Odem eines neuen Lebens ein. Ein garstiges Fauchen, das von kalten Winden und gewittrigen Hagelströmen über die weiten Landen getragen wurde, fegte über die arglosen Dächer der nördlichen Reiche hinweg. Es trug die Kunde von ewiger Feindschaft und die Verheißung eines Winters von unerbittlicher Strenge.

Der Sommer endete noch vor seiner Zeit und bald geißelten wütende Wogen schwerer Schneestürme die Ebenen des Nordens. Dächer wurden zerrissen, Felder zerstört und ganze Bäume entwurzelt. Den Unglücklichen, die kühn genug waren, der Macht des Windes zu lange ins Auge zu blicken, wurde das Fleisch in blutigen Fetzen von den Knochen gezerrt. Die Stürme machten erst Halt, als sie gegen die weißen Berge brandeten oder sich auf dem Meere im Westen verloren. Einige aber trugen die Kunde von Hibernas Zorn noch bis in ferne Länder. Auch ohne die Macht der Luftströme bahnte sich die Kälte ihren Weg durch die Wände von Hütten und selbst durch die Mauern von Häusern und Burgen. Gleich einem scharfen Spieß drang sie ungehindert in das weiche Fleisch der zitternden Bewohner. Schon gefroren die Seen und auch die mächtigen Ströme und Meeresufer des Landes erstarrten bald in eisiger Ruhe. Die Höhe des Schnees nahm in solch ungeheurer Schnelle zu, dass es den Menschen kaum noch möglich war, ihre Ortschaften zu verlassen, geschweige denn, die wachsende Neige an Vorräten zu bekämpfen. Die Andauer des Winters lag in einem unnachgiebigen Wettstreit mit seiner Grausamkeit und gemeinsam ließen sie die Zahl seiner Opfer ins Unaussprechliche emporsteigen.
Als er schließlich kein Ende mehr zu finden schien, wuchsen die Klagen über das Unglück, das die Wintergöttin den Menschen in ihrem gekränkten Stolze zuteil werden ließ, zu einem Hohngelächter der Verbitterung und der Verzweiflung heran: „Ist das alles?“, heulten sie dem Winde entgegen, Mütter, Väter, Geschwister, Freunde, Kinder und Geliebte derer, die Kälte und Hunger geraubt hatten. „Mehr vermagst du nicht? Nicht mehr, als armen Sterblichen das bisschen Wärme zu nehmen, das bisschen Fleisch und Brot zu verwehren, das sie am Leben hält? Was bist du mehr als eine kleine jämmerliche Diebin?“
Dort aber, wo die trotzigen Worte der Trauernden und Leidenden das Mitleid eines jeden anderen Gottes erregt hätten, brandeten sie gegen Felsen von festestem Eise. In Hibernas kalten Venen loderte der Zorn von neuem auf und so wandte sich an ihre Diener unter den Lebenden, denen Sturm und Kälte nichts anzuhaben vermochten. Den Trollen, die seit Äonen ihre fernsten und ödesten Breiten bewohnten und ihren Namen stets geehrt hatten, befahl sie, seine Besudelung erbarmungslos zu rächen und neues Leid über die Länder der Vermessenen zu bringen. Die Trolle durchschritten meilenweite Mauern aus Schnee, als wären sie Luft, und näherten sich den Ansiedlungen der Menschen bei Nacht. Ohne Gnade übten sie rasche Überfälle aus, erschlugen Männer und plünderten Vorräte und Vieh. Frauen und Kinder nahmen sie als Sklaven und Futter mit sich über karge Berge und durch dunkle Wälder bis in die fernsten und finstersten Orte der Welt, die niemand vor ihnen je zu Gesicht bekommen hatte. Den Zurückgebliebenen, die Tod und Entführung entronnen, blieb inmitten ihrer zerstörten Heime zunächst nichts als Gram und Entsetzen. Der Untergang schien ihnen allen auf irgendeine Weise vorherbestimmt und diese Gewissheit war es schließlich, die den Trotz in den Herzen der Besiegten von neuem bestärkte: „Das sind also deine tapferen Knechte! Sie sind nicht zu mehr im Stande, als feige Überfälle auszuüben. Sie ermorden die Schlafenden und rauben die Wehrlosen. Unsere Städte und Burgen aber, die Orte, an denen unsere Stärke verbleibt, scheuen sie wie die Geister das Licht!“
Nun ward die Wut der kalten Herrin so groß, dass sie beschloss, die Gepeinigten mit roher Gewalt zu zerschmettern. So suchte sie die Riesen auf, die in den Tälern und Höhen der nördlichen Berge hausten, und gebot ihnen, unter dem Banner der Wintergöttin in die Ebenen herabzusteigen und die dortigen Menschenreiche mit Krieg und Zerstörung zu überziehen. Die Kolosse erwiesen sich als treue Schoßhunde ihrer Herrin: Sie schleuderten Bäume und warfen Felsen auf die ausgezehrten Reihen ihrer Gegner. Ihr donnerndes Gebrüll hallte Meile um Meile über die unwirtlichen Landen, als sie gegen die spärlichen Reste menschlicher Widerstandskraft ins Feld zogen. Ohne Mühe zerstampften sie die von Hunger und Kälte geschwächten Truppen, die man gegen sie entsandt hatte, und konnten einzig noch vor den Mauern befestigter Orte gehalten werden. „Nun denn“, höhnten die Belagerten schließlich und ergaben sich in ihr Schicksal. „Wirfst du uns nun auch endlich deine geballte Macht entgegen, so sind ihre Grenzen doch offenkundig. Unserer letzten Leiber wirst du nicht habhaft werden, um mit ihnen als Siegestrophäen dein karges Heim zu schmücken. Wenn unsere Zeit gekommen ist, so werden es unsere eigenen Klingen sein, die uns den Lebensfaden durchtrennen. Unser Fleisch wird dann über einen Weg zur Erde zurückkehren, aus der es erwachsen ist, der außerhalb deines Reiches verläuft. Magst du auch über Kälte gebieten und Hunger und Eisen befehligen, so werden wir dir zum Hohne diese Welt durch ein Element verlassen, über das du noch nie geboten hast und auch niemals gebieten wirst: das Feuer!“

Die Herrin des Winters begann nun zu lächeln, sanft, mild und erbarmungsvoll. Selbst der leiseste Anflug von Zorn oder Rachsucht schien aus ihrem Wesen gewichen. Plötzlich ließen die Stürme nach und auch die Angriffe der Trolle und Riesen begannen, innezuhalten. Als die Menschen des Nordens dies sahen, spürte ein jeder von ihnen, wie eine längst verlorene Hoffnung es wagte, sich erneut in seinem Herzen zu regen. Sehnsüchtig folgten ihre Blicke dem Abbilde der Wintergöttin, die nunmehr in einem menschlichen Schein von makelloser Schönheit und vollkommener Grazie am grauen Himmel in Erscheinung trat. Mit einer Geste voll Anmut und gütiger Verheißung wies sie in die Höhe, als gelte es dort, ein prophetisches Zeichen zu vernehmen.
Und dann geschah es. Erst teilte sich die schier undurchdringliche Wolkendecke und ließ den rosigen Glanz der fernen Abendsonne auf die Überbleibsel von Krieg und Zerstörung herabsinken. Ganz so, als gelte es, dem Verlorenen in gemeinsamer Andacht und Trauer zu gedenken. Doch dann zischte ein mächtiger Blitz über den weiten Horizont bis hin zu den fernen Felskörpern der Adlerberge. Zunächst schien sich nichts weiter zu ereignen, doch dann konnte man plötzlich eine wachsende Gestalt ausmachen, die das Land unter sich in einem gewaltigen Schatten ertränkte. Erst, nachdem sich die sonderbare Figur vollends durch das Weltentor gedrängt hatte, schloss sich die Luft hinter ihr unter einem ohrenbetäubenden Donnerschlag. Einem jeden Beobachter stockte der Atem, als sich das Folgende ereignete: Ein Wesen von überirdischer Schönheit versetzte die trockene Luft mit dem heftigen Schlag seiner gigantischen Flügel in Bewegung und ließ sich einem schneeweißen Adler gleich auf dem höchsten Turme der gewaltigsten Feste des Nordens nieder.
Hiberna lächelte wohlgefällig, während sie das mächtige Geschöpf besah, und ließ ihre glockenklare Stimme erklingen: „Seht her! Dies ist mein herrlicher Sohn, welchen ich mit meinem Leibe geboren und über Äonen hinweg an meiner Brust genährt habe. Kraft des Blutes, das in seinen Adern fließt, gebietet er über zwölf Weitere seiner Art. Ihn habe ich herbeigerufen, auf dass er euch den Dank für die Kühnheit überbringe, die ihr mir bis zum heutigen Tage unzweifelhaft bewiesen habt.“ Kaum hatte die Wintergöttin geendet, riss der Eisdrache seinen furchterregenden Rachen auf und ließ einen entsetzlichen Ruf ertönen, der die gefrorene Erde bis tief in ihr Innerstes hinein erschütterte. Gleich darauf schnellten zwölf weitere Blitze über den rötlichen Abendhimmel und brachten neue Gestalten zum Vorschein, die zwar etwas kleiner waren als die ihres Vorgängers, doch nicht minder bewundernswert und furchteinflößend zugleich. Zwölf Donnerschläge ließen die Weiten des Nordens erbeben und ehe man sich versah, suchten dreizehn Eisdrachen verschiedene Bollwerke der Menschen auf.
Und dann, mit einem Male, wichen alle tröstlichen Erwartungen und alle demütigen Hoffnungen einem jähen Albtraum der Erkenntnis. Den Kehlen der Bestien entronnen Tod und Verderben in einem wütenden Schwall düstersten Feuers. Städte und Festungen, die noch kurz zuvor den Frösten und Schergen des Winters getrotzt hatten, vergingen nun binnen weniger Atemzüge in seinem Inferno. Das Lachen der kalten Herrin hallte so klar wie die aufziehenden Sterne über die Weiten des Landes, als sie die noch immer Fassungslosen ihrer Verdammnis überließ. Was hätten diese in jenem Augenblicke für die tödliche Gunst ihres frierenden Odems gegeben! Das, was ihnen an Stolz und Selbstachtung geblieben war, begrub die Enttäuschung ihrer törichten Hoffnung vollends unter sich. Feuerstürme jagten erhellend durch die eisige Nacht und trugen die Kunde vom endgültigen Untergange der Menschen des Nordens an die Horizonte ihrer selbst gewählten Gräber. Sie hatten eine Göttin an einem Orte der Welt herausgefordert, über den ihrer furchtbaren Gewalt keine Grenzen auferlegt waren. Als hunderte von Häusern und dutzende von Trutzburgen von gleißenden Flammen verzehrt wurden und als tausende von Menschen als fleischliche Fackeln das Leben verließen, da ward alle Kühnheit dahingeschmolzen und der letzte Zweifel an der furchtbaren Allmacht Hibernas über die Länder des Nordens restlos getilgt.

Nachdem die Lieblinge der Wintergöttin weite Teile des Nordens verschlungen hatten, schenkte sie den Gebrochenen drei Wochen des Friedens, der Muße und der Reue: einen Woche für jedes Mal, da ihr Name beschmutzt worden war. Vergebung aber wollte sie ihnen nicht eher gewähren, als nach Ablauf dieser Frist auch der letzte von ihnen in der schmerzlichsten Gewissheit seines Fehlers zugrunde gegangen war. Erst dann und nicht früher sollte der Friede der Versöhnung zwischen ihnen herrschen.
Die Drachen wandten sich nach Norden, um in den Adlerbergen zu verweilen, bis sie das Morgenrot des ersten Tages der vierten Woche am Himmel erspähen würden. Dann sollten sie den Zeitpunkt gekommen wissen, um ihr schreckliches Werk zu vollenden.
Unterdessen zogen sich die Überlebenden an die letzten Orte zurück, die ihnen wenigstens vor der Peinigung durch die niederen Schergen Hibernas Zuflucht versprachen, deren Horden ihnen eine Flucht nach Süden verwehrten.
Die wenigen Reiche in der Ferne, die das Verhängnis des Nordens bewegte, wagten es nicht, ihren Freunden und Verbündeten zu Hilfe zu eilen. Die Furcht, auch sie würden den Zorne der Wintergöttin und den ihrer furchtbaren Drachen auf sich ziehen, lähmte die Herzen derer, die das entsetzliche Geschehen aus Nähe und Ferne beobachtet hatten.
Auch die Götter, die die Nordländer im Angesichte ihres baldigen Unterganges beschworen, vermochten ihren Schützlingen nicht mehr als faden Trost zu spenden. Denn das Hoheitsgebiet der kalten Herrin ward ein Land, an dem sie keine Macht besaßen.
Und so bereiteten sich die Bewohner der nördlichen Reiche in leiblicher Entkräftung und geistiger Nüchternheit auf einen kläglichen Tod der Schmach und der Vergessenheit vor.



[size=+1]Der namenlose Fremde[/size]


Doch dann geschah es, dass ein junger Mann die verheerten Weiten des Nordens betrat. Er verlor kein Wort über seine Herkunft noch über seinen Namen oder über den Grund seines Kommens. Und doch galt seine Erscheinung all jenen, die ihn zu Gesicht bekamen oder von ihm hörten, als stilles Zeichen der Hoffnung auf Veränderung. Sein Schopf ward seiner Jugend zum Trotze weiß wie der Schimmel, auf dem er thronte, und wie der Schnee, der die gepeinigten Länder seit den ersten Tagen von Hibernas Rache bedeckte. Die Farbe seiner Augen aber glich nicht dem Eise, das nunmehr ein jedes Gewässer beherrschte, sondern dem Stahl seiner Lanze und dem seines Schwertes. Seine Gestalt ward von solcher Pracht, dass die Töchter des Landes ihm noch lange Zeit nachblickten, nachdem er an ihnen vorübergeritten war. Seine Haltung strahlte eine solche Anmut und Würde aus, dass einige, die ihm begegneten, bereits schworen, es sei ein Gott in sterblichem Antlitz erschienen, um die Menschen des Nordens von ihrer Schmach zu erlösen und ihren Reichen eine neue Zukunft zu schenken.
Er ritt allein auf seinem Ross über die geschundenen Gefilde. Er passierte geplünderte Höfe und kam an zerstörten und verlassenen Weilern vorbei. Er ritt an Bergen rauchender Aschetrümmer vorüber, die von ehernen Städten zu erzählen wussten, und schnellte über schwarze Wüsten von verbrannter Erde, die noch unlängst Dörfern und Feldern Grund geboten hatten.
Er erblickte das Grauen offener Massengräber und führte sein Ross durch einsame Wälder. In ihren laublosen Tiefen waren es knochige Bäume, die auf ihn gewartet hatten und nun seine Schritte mit hohlen Geisteraugen belauerten. Hoch über ihm im kahlen Geäst begnügten sich schwarze Gesellen damit, das Lied jener bitteren Tage zu krächzen. Bisweilen blickte er zu den dunklen Schwingen hinauf und fragte sie und sich im Stillen, ob sie wohl auch für ihn singen würden, so ihn seine zarten Hoffnungen eines baldigen Tages betrogen haben würden.
Er flog geschwind über schneebedeckte Weiden, die seit vielen Monden kein Vieh mehr gemästet noch Korn gespendet hatten, und schritt über weiße Hügel, in deren Innern die Fürsten vergangener Tage von ihrer letzten Rast zu ihm heraufblickten. Manch eine Weile verbrachte er auf diesen Anhöhen und hing dem Gedanken nach, wie lange man wohl seiner gedenken würde, wenn sein kühnes Vorhaben denn erst gescheitert war.
Er überquerte auch gefrorene Ströme und längst begrabene Seen, die vom bleichen Lande umher zu trennen, keines Mannes Auge mehr vermochte. Er verbarg sein Gesicht vor den eisigen Stürmen, die danach trachteten, ihm das Fleisch mit erbarmungslosen Fingern vom fröstelnden Leibe zu reißen, und vertraute auf seinen Schimmel, der mit des Windes Schnelle über das sterbende Land jagte. Er machte selten Rast und sprach nur dann ein Wort zu jemandem, wenn es nötig war, denn hoch war sein Streben, doch gering seine Zeit.
Tagsüber türmten sich die weißen Berge am Horizonte der Ebenen und des Nachts waren es helle Gestirne und bunte Himmelslichter, die ihm den stetigen Weg nach Norden wiesen. In manch bitterer Stunde war es ihr Anblick allein, der ihm Trost und Hoffnung spendete.

Schließlich erreichte der Unermüdliche das Adlergebirge, wo die unheilvollen Eisdrachen schon nach dem Ende ihrer Rast lechzten. Der Fels unter seinen Tritten gewann zusehends an Höhe und an Unberechenbarkeit, doch die fade Luft barg eine noch viel größere Gefahr in sich. Die Nebelschwaden waren beseelt von tausenden von Geistern, die in den Bergen hausten und die den Vorbeiziehenden in den vielfältigsten Formen erschienen. Zuweilen konnte man sie als Gestalten erkennen, mal als Gesichter, und mal nur als Schemen oder als Stimmen von Vertrauten und Fremden. Zu einigen Stunden zeigten sie sich als Tiere und zu anderen als Menschen oder sie traten als Monster und Gespenster in Erscheinung. Den ersten berieten sie mit der Weisheit alter Zauberer und Götterwesen und den nächsten lockten sie mit dämonischem Wahnsinn ins sichere Verderben. Den einen bewegten sie dazu, Irrpfade oder Umwege durch die Berge zu nehmen, während sie den anderen dazu verführten, sich der unendlichen Weite eines Abgrundes hinzugeben. Manch einem offenbarten sie ein neues Ziel und manch einen veranlassten sie nur zur Umkehr aus dem Gebirge. Obgleich sie die Höhen des Nordens bewohnten, wo sie großen Gefallen an der Verlockung von Seelen fanden, waren sie mit der Wintergöttin nicht im Bunde und keiner anderen Sache unterworfen als dem Wandel und Wechsel ihrer schillernden Launen.
So suchten sie die Zweifel zu nähren, die in den Tiefen des jungen Herzens lauerten, und bedrängten den Namenlosen mit Fragen. Was ihn denn so sicher mache, forschten sie, dass ein gewaltiges Vorhaben wie das seine und die törichte Hoffnung, die er sich mache, nicht nur der wahrheitsfernen Träumerei eines einfältigen Knaben entsprungen seien, der sich nach hohen Taten und gefährlichen Abenteuern sehne. Wer er denn zu sein glaube, die Macht des ehernen Schicksals selbst herauszufordern, welches doch ungeachtet der Wünsche und Sehnsüchte der Sterblichen walte und mit der strengsten Unerbittlichkeit nur nach eigenem Gutdünken wirke. Ob er denn überhaupt ahne, fragten sie, dass ihm der Weg, den er gewählt habe, mehr abverlangen würde, als er zu geben bereit war, und, was sein Scheitern wohl für jene bedeuten mochte, die er in der fernen Heimat zurückgelassen hatte. Ob ihm nicht vielleicht ein ganz anderes Los beschieden sei, wähnten sie, dessen Glück und Sicherheit er in Begriff sei, sich von seiner Einfalt rauben zu lassen, und ob es denn etwa schon zu spät sei, zur unleugbaren Vernunft zurückzukehren.
Inmitten all dieser Beschwörungen ward ein Augenblick, da die Entschlossenheit des jungen Wanderers bedrohlich zu schwanken begann und da ihm der Gedanke an eine plötzliche Umkehr lieb und teuer wurde.
Doch dann geriet etwas unter dem wachsenden Gezische der Geister in Regung. Plötzlich löste sich ein Gesteinsbrocken vom Fels über dem Zweifelnden und rauschte mit einer jähen Macht unbändiger Zerstörung aus der Höhe herab. Als er das unheilvolle Geschehen bemerkte, warf er sich mit einem verzweifelten Satze nach vorne, um der tödlichen Gefahr zu entrinnen. Seinem Schimmel aber, den er hinter sich geführt hatte, blieb die Herkunft der Bedrohung verborgen und so schloss das Tier in ungewisser Panik zu seinem Freund und Herrn auf. Der Fels schlug unmittelbar dort auf, wo sich noch unlängst der Reiter befunden hatte, und riss sein treues Pferd mit sich in die Tiefe.
Trotz der Tränen, die er über seinen vierbeinigen Gefährten vergoss, und trotz der heuchlerischen Warnungen, mit denen ihn die Nebelgeister unnachgiebig zu gewinnen suchten, konnte sich der Namenlose der Unzweifelhaftigkeit seiner Lage nicht länger verschließen. Weite und Unwirtlichkeit der nördlichen Gefilde würden ihn unweigerlich verzehren, sollte er es wagen, ohne sein Pferd den Rückzug in die Ferne anzutreten. Auf eben dem steilen Pfad, den er in der Kühnheit früherer Stunden aus freiem Willen gewählt hatte, ruhte nunmehr seine einzig mögliche Aussicht auf Überleben.
Und so strebte er zu jenem Orte hin, an dem sich sein Schicksal und das vieler anderer auf Gedeih oder Verderb hin entscheiden sollte.

Der höchste und breiteste Gipfel des großen Adlergebirges war an seinem Rande mit scharfen Felszacken bewehrt, die ihn gleich einem wilden Zinnenwall umgaben. Er war zudem die ganze Zeit des Jahres über mit hohem Schnee bedeckt und von eisigen Luftströmen umweht. Deshalb hatte er in zahlreichen Mythen und Legenden den Namen „Winterkrone“ errungen. Ob seiner Höhe lag dieser schicksalsträchtige Ort dem Äther näher als jeder andere Platz in der Welt der Sterblichen. Er war das Zentrum von Hibernas Reich und das entsetzlichste Bollwerk ihrer Macht auf Erden.
Dort war es, wo der erste und mächtigste der Eisdrachen lagerte. Seine Herrin und Mutter dünkte sich ihres Triumphes so sicher, dass sie sich vorerst vom Geschehen im Norden abgewandt hatte, um sich anderen Angelegenheiten zu widmen, die sie im Äther erwarteten und so ward ihr höchster Diener und Sohn sich selbst überlassen.
Im blassen Schein des vollen Mondes, der die Nacht vor dem ersten Tage der vierten Woche erhellte, ragte die Winterkrone bereits aus weiter Ferne gleich dem Unterkiefer eines Dämonenschädels mit schemenhaften Fangzähnen in den bleichen Nachthimmel.
Als der Drache, der die übrigen zwölf seiner Art Kraft seines Blutes befehligte, inmitten der kalten Luft den Geruch eines ungebetenen Gastes auf seinem Gipfel vernahm, blähte er seine gewaltigen Nüstern auf, um den Eindringling mit einer Woge der Hölle zu begrüßen.
Dieser aber tat eben das einzige, was ihm sein Leben zu retten vermochte: Statt seiner mächtigen Lanze oder seines scharfen Schwertes zückte er seine heisere Zunge: „Du höchster und mächtigster aller Drachen, welche die Länder südlich dieser Berge gepeinigt haben, höre meine Worte! Ich bin gekommen, um mich deiner Herrlichkeit zu vergewissern!“
Angesichts dieser unverhofften und seltenen Sprache ließ der Drache seinen feurigen Atem unmittelbar über dem Haupte seines Besuchers entweichen, um dessen Mut und Entschlossenheit zu prüfen.
Das Brüllen der Flammen verhallte in den grundlosen Tälern, doch der namenlose Fremde verharrte unbewegt an seinem Platze. Mit dem Hauch seiner Kehle schuf der Drache einen angenehmen Widerpart zu der enormen Kälte des Berggipfels. „In den Ebenen jenseits dieser Berge spricht man viel Schlechtes über dich und deinesgleichen. Einige wenige jedoch pflegen von einer atemberaubenden Pracht zu erzählen, die es Wert sei, für ihren Anblick zu sterben. Meine Heimat liegt aber fern der Reiche, die den Groll der Wintergöttin erregt haben, und so können wir nicht mehr als auf wage Gerüchte setzen. Im Namen meiner wissbegierigen Landsleute habe ich mich zu dir aufgemacht, um mit der Wahrheit zu ihnen zurückzukehren!“
Der Drache selbst war von tückischer Natur und so waren Trug und Verrat ihm nicht fremd. Doch nicht geringer als seine Arglist waren auch seine Selbstverliebtheit und sein eitler Drang, bei den Sterblichen Bewunderung zu erwecken, selbst wenn er im nächsten Zuge über viele von ihnen Verderben bringen würde. „Nun gut“, knurrte er billigend. „Wenn du wirklich so viel auf dich genommen hast, um unsere Schönheit zu erblicken, so will ich dir diesen Wunsch nicht verwehren. Sollte sich aber herausstellen, dass du in Wahrheit danach strebst, mich zu täuschen, so werde ich dir reichlich Gelegenheit verschaffen, diesen Fehler zu bereuen.“
Der Pilger nickte demütig und nannte sein erstes Ersuchen: „Es heißt, auf deinem Rücken wüchsen kristallene Steine, die der Schönheit alles Sterblichen spotteten. Ich habe jedoch in die Augen vieler Frauen und Mädchen geblickt und nie etwas Glänzenderes gekannt. Lass mich ein paar deiner Steine aus der Nähe betrachten. Sollte es stimmen, was über sie erzählt wird, so werde ich die Kunde von ihnen zurück in meine Heimat tragen und jedem davon berichten, der es hören möchte.“
„Solltest du stattdessen versuchen, einen von ihnen zu stehlen, so werde ich den Raub an deinem eigenen diebischen Leibe sühnen. Ohne Arme und Beine wirst du die letzten Stunden deines frevlerischen Daseins vor dich hin vegetieren wie ein auf den Rücken gewandter Käfer. Überlege also gut, was du tun willst.“ Daraufhin schwenkte der Drache die Spitze seines Schwanzes herum, damit der Mensch die Zacken, die dort wuchsen, aus nächster Nähe mustern und ihre Schönheit bewundern konnte. Der Bittsteller ließ seine Hand mehrere Male über die wunderbaren Kristalle gleiten, in denen sich das bleiche Mondlicht brach, und bemerkte voller Anerkennung: „Nein, fürwahr, diese sind von so glänzender Pracht wie nichts anderes in der Welt, die ich erfahren durfte. Ich stehe in der Schuld, mich meines närrischen Irrtums zu schämen. Doch sag mir, du erster der Eisdrachen, ist es wahr, dass deine Augen tiefer sind als jeder Abgrund? In der Länge meiner Jahre habe ich Seen überquert und Meere befahren. Dort, in den dunklen Wassern, liegt die größte Tiefe, die ein Mensch zu ahnen wagt. Es fällt mir schwer zu glauben, dass etwas noch tiefer erscheinen könnte als diese ehernen Gewässer. Zeige mir Tiefen, die vergebens nach ihresgleichen suchen, und ich werde bis in ferne Länder ziehen, um die Einfalt meines Volkes mit der Kunde der mir zuteil gewordenen Wunder zu bekämpfen.“
Obgleich dem Drachen die beharrliche Neugier des Fremden so recht nicht behagen wollte, erlag er der Versuchung in seinen Worten. Die Vorstellung, nicht nur für seine Zerstörungskraft, sondern auch für die Schönheit seines Antlitzes in den Mythen und Geschichten dieser jungen Rasse fortzubestehen, war einfach zu verlockend, um ihr zu widerstehen. „Falls du versuchen solltest, mich etwa zu blenden, so werde ich dir dank meines ausgezeichneten Riechers dennoch auf die Spur kommen. Ich werde dir die Haut in langen Fetzen vom frechen Leibe zerren und dein offenes Fleisch in der Hitze meines Atems sorgfältig rösten, bis selbst einer deiner Blutsverwandten mit Genuss davon kosten könnte. Doch damit nicht genug: Mit deinen letzten flehenden Schreien werde ich dir die Namen deiner Lieben entlocken, auf dass ihnen ein nicht minder qualvoller Tod widerfahre.“ Nach dieser Warnung senkte der Drache sein kolossales Haupt zu dem Sterblichen herab, damit er die Grundlosigkeit in seinen Augen erkennen konnte, die selbst das Mondeslicht in ihren Tiefen verschlangen.
Der junge Mensch nahm einen langen ehrfürchtigen Blick und nickte dann andächtig. „Wahrlich, ich dünke mir selbst ein Narr, dass ich es wagte, überhaupt die Frage nach deiner Herrlichkeit zu stellen. Und doch kann ich dessen, was ich gesehen habe, nicht froh werden.“
„Was redest du da?“, schnaubte der Eisdrache in einem jähen Widerstreit aus Zorn und Entsetzen.
„Wie kann ich denn sicher sein, dass das, was ich zu sehen und zu spüren glaubte, mehr war als nur ein Schein? Selbst die höchste Pracht verhilft einem Trugbild nicht zur Wirklichkeit, die es aber bräuchte, um Ehrerbietung zu verdienen.“
Die Bestie vermochte nicht zu glauben, was sie dort hören musste. „Haben wir es etwa an Wirklichkeit fehlen lassen, als wir dem Ruf unserer Herrin Folge leisteten?“, fragte sie voll Fassungslosigkeit. „Haben wir es an Wirklichkeit fehlen lassen, als wir eure Städte und Burgen in Trümmerfelder und Ruinen verwandelten? Haben wir es an Wirklichkeit fehlen lassen, als wir von Tausenden deiner Art nichts als ein Meer von feinster Asche übrig ließen?“
Plötzlich erkannte der Namenlose, dass das Unbehagen die ganze Zeit über kaum merklich in ihm gestiegen war. Beim Wandern hatte er der allgegenwärtigen Kälte mit der Wärme seiner Muskeln zu trotzen vermocht, nun aber drängte sie mit jedem Moment, den er im Stehen verbrachte, unnachgiebig in seinen wehrlosen Körper. Er musste die Unterredung mit dem Drachen zu einem raschen Ende führen und doch durfte er weder Worte noch Zeit scheuen, um das beständige Misstrauen der uralten Kreatur zu lindern.
„Ich war nicht dort, als sich all das zugetragen haben soll“, antwortete er ruhig und maßvoll. „Anderenfalls hätte ich dich wohl nicht aufsuchen müssen. Alles, was ich zu Gesicht bekam, waren die Spuren von Krieg und Verwüstung. Zerstörung aber hat viele Gesichter. Ebenso gut könnte es das Werk von Dämonen oder Geistern gewesen sein, wie solcher, die mir auf dem Wege zu dir in den Bergen begegneten. Sie nahmen eine jede Gestalt an, die ihnen beliebte, und hüllten meine Wahrnehmung in Bilder, die einem Sterblichen glaubwürdiger erscheinen als die Wirklichkeit selbst. Ein Narr wäre ich, eure Herrlichkeit zu leugnen, wäre sie Wirklichkeit. Ein noch größerer Tor aber wäre ich, sie zu preisen, wäre sie Lüge!“
Der schuppige Leib der Bestie spannte sich in jäher Wut. Ihre tiefen Augen begannen, erregt zu funkeln, und in ihrem Rachen knisterten bereits Flammen des Zornes. Mit seinen Worten aber hatte ihr der Sterbliche eine Schlinge umgeworfen, die sich mit Gewalt nicht durchtrennen ließ. Der Verdacht, den er ausgesprochen hatte, stach tief in das Fleisch des drakonischen Stolzes. Und doch konnte der Eisdrache, dem Dämonen und Geister in seinem langen Leben selbst nicht fremd geblieben waren, nicht umhin, die Berechtigung des Misstrauens anzuerkennen. Der Mensch musste dessen, was er gesehen und erfahren hatte, sicher sein, wenn er Völker und Reiche von der Schönheit der Eisdrachen überzeugen sollte. „Was würde dir also Gewissheit geben?“
„Es heißt, nur in den Adern lebender Wesen“, sprach der Namenlose mit Vorsicht und Bedacht. „Flöße echtes Blut.“
Das bloße Wort genügte, um tiefen Argwohn im Herzen des Drachen zu sähen. War das Angebot des Fremden seine Forderung wert? Nach einer Weile der Unschlüssigkeit rieb er seine Zunge an einem der scharfen Fangzähne in seinem Maul und zeigte sie seinem Gegenüber im Schein seiner Fackel.
Der Namenlose aber schüttelte bedauernd den Kopf. „Es gibt nichts, was mir weniger behagte, als noch länger an deiner Erscheinung zweifeln, doch wird man mich stets einen Narren schelten, sollte ich nicht mit meiner eigenen Klinge geprüft haben, ob das Blut, das du mir zeigtest, deinen eigenen Venen entstammte und nicht etwa einem unglücklichen Geschöpf gehörte, das dir vor kurzem zur Beute fiel. Gewähre mir noch diesen einen Beweis für deine Herrlichkeit und ich verspreche dir, dass meine Reise zu diesem Gipfel für keinen von uns beiden vergebens gewesen sein wird!“
Der Sohn der Wintergöttin verfluchte sein Gegenüber für dessen Beharrlichkeit und sich selbst für seine zügellose Eitelkeit. Er schien seinem alten Ziele der Unsterblichkeit so nahe wie nie zuvor. Angesichts dessen mochte es kaum eine Rolle spielen, was nun als nächstes geschah, solange der Sterbliche nur sein Wort hielt. Die Gefallsucht des ersten Eisdrachen war über Äonen hinweg durch die unermüdlichen Liebkosungen seiner entzückten Mutter behütet und bis zu einem Unmaß der Verzweiflung hin genährt worden. So lag es nicht länger in seiner Macht, den unheimlichen Vorschlag des Menschen zurückzuweisen. „Also gut. Doch zuerst wirst du mit derselben Klinge deinem eigenen Fleische einen ansehnlichen Schnitt zufügen. Wer so viel verlangt wie du, der darf selbst nicht zögern, Opfer zu darbringen.“
So zog der Namenlose denn sein Schwert und führte es der Länge nach über den Rücken seines linken Unterarms. Erst kurz vor der Spitze setzte er die Klinge ab. Dampfendes Blut strömte sogleich aus einer klaffenden Wunde und goss Löcher satten Rots in den Schnee zu seinen Füßen.
Der Bestie ward dies aber noch nicht genug. „Wir Drachen halten an dem alten Glauben fest, dass in dem Blute eines Wesens auch ein Teil seiner Seele schlummert. Schwöre bei dem deinen, dass du unser Abkommen nicht verraten wirst! Tust du es dennoch, so wird dein lügnerischer Geist auf ewig verflucht sein.“
Der Namenlose tat, wie ihm geheißen, doch nach den letzten Worten begann er ob der Kälte und der offenen Wunde heftig zu zittern. Langsam schritt er auf schlotternden Beinen mit der blanken Klinge in der Rechten auf den Drachen zu.
„So sei es also“, bekundete die unheilvolle Kreatur ihr Einverständnis. „Über Eines aber sei dir noch im Klaren, da du mir von kühnerem und trotzigerem Wesen dünkst als viele deiner Artgenossen. Vernimm noch eine letzte Warnung aus meinem Munde, sollten dich die anderen nicht kümmern: Ein paar Tropfen meines Blutes seien dir gewährt, der du so viel dafür auf dich genommen hast, doch für jeden einzelnen mehr, der wider meine Billigung durch deine Klinge vergossen wird, wird eines der Menschenreiche, die den Zorn der Wintergöttin bislang noch nicht auf sich gezogen haben, das Verhängnis des Nordens Teil haben. Eine Lache meines Blutes auf dem Eise dieses Gipfels und meine Brüder werden diese Welt nicht eher verlassen, als bis eure gesamte Art von ihrem Angesichte getilgt sein wird.“
Erschöpft trat der junge Krieger an den kolossalen Leib heran und setzte das Schwert dort an, wo die drakonische Haut hinter einer der unzähligen weißen Schuppen zum Vorschein kam, die sie gegen viele Arten von Angriffen schützten. Dann stieß er die Spitze hinein, deren Farbgestalt im faden Lichte des Mondes sicher verborgen blieb. Als er den Stahl wieder herauszog, klebte der dampfende Lebenssaft des Eisdrachen daran. Nachdem er die Erscheinung eine Weile lang gemustert und eingehend studiert hatte, nickte er zufrieden.
„So geh nun hin“, befahl der Drache und riss sein gefährliches Maul zu einem plötzlichen Gähnen auf. „Geh und berichte deinem Volk von der Herrlichkeit meiner Art.“
„Das werde ich“, antwortete der Namenlose bestimmt und begann, sich allmählich zu entfernen.
Die Bestie wollte noch etwas sagen, doch statt Worten entrann ihrer lahmen Kehle nur ein ermattetes Grunzen. Das mächtige Haupt sank kraftlos zwischen die vorderen Pranken in den Schnee und regte sich nicht mehr.
Der Fremde aber sammelte seine letzten verbliebenen Kräfte und unterdrückte das Ungemach seiner kalten Glieder. Er fasste seine mit beiden Händen und erhob die mächtige Waffe, ungeachtet des Blutes, das noch immer ungehindert aus seiner frischen Wunde quoll. Dann stürmte er auf das Ungetüm zu und stieß dabei einen hallenden Schrei aus, um die heftigen Schmerzen seines Armes und die wachsende Furcht in seinem Herzen zu übertönen. Endlich erreichte er den schlafenden Körper des Drachen und jagte den gierigen Stahl durch eine Wand aus lederner Haut tief in die Kehle des Wesens hinein, das so viel Leid über die Menschen des Nordens gebracht hatte. Schließlich befreite er den Spieß aus dem leblosen Leib der Kreatur und entfesselte dabei einen unbändigen Strom finsteren Rots.
Im selben Moment, da das Lebenslicht des Untiers erlosch, sandte der anbrechende erste Tag der vierten Woche seinen blutigen Vorboten an den Horizont des Gebirges. Das Morgenrot zog auf und legte sich über das schwindende Antlitz des Vollmondes. Gemeinsam gebaren sie ein rötliches Zwielicht, das Berge und Täler, Seen und Wälder, Felder und Meeresküsten in seinen sanften Schimmer tauchte.

Die Wintergöttin kreischte in ungläubigem Entsetzen auf, als das schier Unmögliche eingetreten war. Mit ihrem Schrei erhoben sich zugleich die übrigen zwölf Eisdrachen von ihren Lagern, um den Tod ihres Meisters aufs bitterste zu rächen.
Der junge Held bibberte indes vor Kälte und Entkräftung. Es blieb nur wenig Zeit, bis die Brüder des Erschlagenen die Winterkrone erreichen würden. Wenn sie über ihn erst Vernichtung gebracht haben würden, dann würde sich die letzte Warnung des Ersten ihrer Art auf finsterste Weise bewahrheiten. Dann würde ihre Rachsucht vor keinen Grenzen Halt machen, die von Menschenhand gezogen worden waren. Mit trotzigen Händen, die ihm kaum mehr gehorchen wollten, nahm der Drachentöter einen Strick aus seinem Gepäck und formte daraus eine Schlinge. Er legte sie dort an, wo der linke Unterarm in seinen Ellenbogen überging. Dann, mit einem allerletzten Aufgebot seines Willens, zog er den Strick mit einem heftigen Ruck zusammen und schnürte das verletzte Glied vollständig ab. Nichts von dem, was durch die klaffende Wunde unweigerlich in seine Adern gelangen würde, durfte sein Herz erreichen. Er entledigte sich all seiner Kleider und ließ sich dort niedersinken, wo der Lebenssaft des Eisdrachen dessen offener Kehle in üppigen Flüssen entrann. Die Wärme des Blutes gab dem Namenlosen einen Teil seiner Stärke zurück und erfüllte seinen ausgezehrten Leib mit neuem Leben. Es sog sich in seine Haare und verschmolz äußerlich mit seiner Haut.
Schließlich erreichten die unheilvollen Zwölf den Ort ihres Verhängnisses und mit loderndem Zorn in den Herzen erkannten sie den Mörder ihres Bruders. Doch als sie ihn zu stellen suchten, musste ein jeder von ihnen erkennen, dass er nicht dazu in der Lage war. Das Blut des Ersten ihrer Art, in dem ihnen auch ein Teil seiner Seele zu schlummern dünkte, haftete gleich einem undurchdringlichen Schutzmantel lückenlos am Körper des Menschen. Da es sein Venensaft gewesen war, Kraft dessen er über seine Brüder geboten hatte, war es diesen nicht möglich, seinem Träger Gewalt anzutun.
Im selben Augenblick, da die Zwölf ihre Ohnmacht erkannten, richtete der Sieger gebieterisch das Wort an sie. „Der Erste eurer Art ist gefallen! Er fiel meiner List und meiner Unermüdlichkeit zum Opfer. Die Macht, mit der er euch an den Willen der Wintergöttin band, ist nun mir zugefallen. Kraft des Blutes, das ich vergossen und erobert habe, werdet ihr mir fortan dasselbe bedingungslose Maß an Liebe und Gehorsam entgegenbringen, welches zuvor eurem Bruder galt! Mein erstes Gebot an euch lautet, Reinigung über die Länder des Nordens zu bringen, welche durch die eitle Rachsucht eurer alten Herrin besudelt worden sind!“
Ohne zu zögern, erhoben sich die Unterworfenen, um der Weisung ihres neuen Gebieters unverzüglich Folge zu leisten.

Als sie die nahenden Drachen erblickten, traten einige der Nordreichbewohner schicksalsergeben ihrem Untergange entgegen, während andere panisch um Verstecke rangen und wieder anderen die Worte ihrer letzten Gebete über die schweren Lippen quollen. Doch alle von ihnen drängten sich in fassungsloser Überraschung an die Zinnen ihrer letzten Zufluchtsorte, als sich ihnen plötzlich ein schier unglaubliches und vollends unverhofftes Schauspiel bot: Die Wogen eines Flammenmeeres wälzten sich in unerbittlicher Wut über die Heereslager der Trolle und Riesen, die das Land besetzt hielten. Gleich rasenden Wölfen, die über wehrloses Weidenvieh herfielen, verschlangen sie unzählige Monster, ehe sie überhaupt ahnten, wie ihnen geschah. Die törichten unter den Ungetümen, die versuchten, sich den übermächtigen Angreifern zu widersetzen, gingen ebenso schnell zugrunde wie viele ihrer Brüder und Kriegsgefährten nur Augenblicke zuvor. Die übrigen, die ihr Heil in der Flucht suchten, wurden von den Eisdrachen bis in jene rauen Gefilde zurückgejagt, aus denen sie gekommen waren. Dort fanden viele von ihnen ebenfalls ihr Ende, wohingegen die Frauen und Kinder, die dorthin entführt worden waren, auf den Rücken der Zwölf zu ihren heimischen Stätten zurückgetragen wurden.
Binnen weniger Stunden ward der Würgegriff der Wintergöttin um die Ebenen des Nordens gebrochen und seine Länder von ihren niederträchtigen Schergen gereinigt. Hoffnung und Frohsinn kehrten alsbald in die kalten Weiten zurück. Der Herr der Drachen befahl seinen Dienern, auch die zahllosen Leichen und Kadaver, die Krieg und Winter über die Länder verstreut hatten, mit ihrem Atem zu verbrennen, um den Überlebenden das finstere Los späterer Seuchen zu ersparen. Die gleichen Flammen, die den Nordländern erst vor kurzem als Vorboten der Hölle gegolten hatten, erblickten sie nun als willkommene Freudenfeuer am lieblichen Horizont der Gefilde, die nunmehr wieder ihnen gehörten.

Am Abend des ersten Tages der vierten Woche, als die Bewohner des Nordens endlich in Sicherheit waren, suchte der junge Held mit seinen Drachen die größte ihrer Festungen auf. Einige dort erkannten in ihm den wortkargen bleichen Fremden, der ihnen vor einiger Zeit auf einem weißen Schimmel begegnet war, doch alle jubelten ihrem Retter und Erlöser mit dem gleichen Maße an Begeisterung und Dankbarkeit entgegen.
Als man nach seinem Namen fragte, um ihn zu preisen, entgegnete ihnen der Drachentöter mit der tiefsten Gleichgültigkeit. Er erwiderte, zwar hätte man ihm einst einen Namen gegeben, doch dieser habe bei seinen Taten keine Rolle gespielt. Von Bedeutung sei einzig, was er erreicht habe, und, wie es geschehen sei. Wie man ihn einst gerufen hätte, sei hingegen nicht von Belang.
Und so tauften ihn die Menschen des Nordens ehrfürchtig „San’Guis“, was in der alten Sprache „der Blutige“ bedeutete. Denn der Venensaft des ersten Eisdrachens hatte sich auf ewig mit seinem Antlitz vereinigt und sollte nie mehr von seiner Haut oder aus seinen Haaren weichen.
„Vom heutigen Tage an und solange es in meiner Macht steht“, sprach San’Guis vom Rücken eines Drachen herab zu den Geretteten. Will ich dem Volke der Menschen Schutz vor seinen Feinden versprechen. Solange, wie sie bereit sind, das, was ich für sie auf mich nahm, in ihrer Erinnerung zu würdigen und durch eigene Taten zu erneuern. Dies verspreche ich, auf dass sich ein Unheil wie das Verhängnis des Nordens niemals wieder ereigne. Dies verspreche ich, von nun an bis zum fernen Tage hin, da das Schicksal den Welten gebieten wird, sich von neuem zu formen.“



[size=+1]Epilog: Das Vermächtnis des Blutigen[/size]


Die Worte San’Guis’ waren wohl bemessen gewesen. Mag auch die Macht der Götter noch so groß und fürchterlich erscheinen, sie findet stets dort ihr Ende, wo die Fügungen des Schicksals ihren Lauf nehmen. Unter dem unerbittlichen Rade der Zeit bleibt nichts bestehen, was sie von den Sterblichen unterschiede. Das letzte, was man von Hiberna vernahm, war das hilflose Schluchzen einer ohnmächtigen Mutter, deren ganzer Stolz wie auch deren Hoffnungen und Erwartungen an die Zukunft auf den Schultern ihres mächtigen Sohnes geruht hatten. Nun, da ihn der Tod ihr entrissen hatte, verblieb von ihr nicht mehr als ein schwindender Schatten ihres einstigen Selbsts. Ihr Name wurde von den nunmehr freien Winden des Nordens verweht, wo die Zeiten des Jahres bald wieder ihrem natürlichen Gange folgten. In Jahrhunderten sollte er nur noch den Schamanen der letzten Troll- und Riesenstämme ein Begriff sein, während er in den Reichen der Menschen vollends in Vergessenheit geriet.

Dagegen ward der Stern des Blutigen im Aufsteigen begriffen. Sein linker Unterarm erlag den Strapazen, denen er ausgesetzt gewesen war, und starb ab. Doch dank des Drachenblutes, das seine Haut umgab, trat keine Verwesung ein, sodass sich sein Träger nicht von ihm trennen musste, was einem gefährlichen Loch im Schutze seines roten Kleides gleichgekommen wäre.
Noch am selben Abend, da er zu den Menschen des Nordens gesprochen hatte, gebot er seinen Drachendienern, ihn hoch hinauf in den Äther zu tragen, wo er die ewige Jugend und das Wesen eines Gottes erwarb. Dort fand er auch den gebrochenen Geist der Hiberna vor und stieß ihn in die Welt der Schatten hinab.
Der Ruf des Helden, der mit Hilfe seines Blutes und dem eines Eisdrachen Reinigung über den Norden gebracht hatte, wurde bald an einem jeden Orte der Erde vernommen. Durch die Berühmtheit seiner Taten hatte San’Guis auch die Kunde von der Drachen Herrlichkeit bis in fernste Länder entsandt. Somit hielt er seinem Wort die Treue, das er dem ersten der Eisdrachen kurz vor dessen Tode gegeben hatte, und entkam dem Fluch, der anderenfalls auf seiner Seele gelastet hätte. Unter der Liebe und der Ehrerbietung des Volkes der Menschen wuchs San’Guis zu einem mächtigen Gotte heran, dessen Kraft bald die Stärke vieler älterer Gottheiten übertraf. Denen, die ihn ehrten, galt er nicht nur als gütiger Schutzherr, sondern auch als Verkörperung ihres höchsten Stolzes. Denn all das, was er erreicht und vollbracht hatte, hatte er mit nicht mehr als der vergänglichen Kraft, dem schwachen Geschick und dem zweifelnden Herzen eines Sterblichen erstritten.
Noch ehe er seine Göttlichkeit eingefordert hatte, hatte der Herr des Blutes und der Reinigung seine Drachen mit einem weiteren Auftrag bedacht.
Sechs von ihnen ward geheißen, die Ungetüme, die dem Ruf der Wintergöttin gefolgt waren, ein letztes Mal an den fernen Orten heimzusuchen, an die sie sich nach ihrer fatalen Niederlage zurückgezogen hatten. Nicht mit ihrem Feuerodem, sondern mit Klauen und Zähnen sollten sie der Trolle und Riesen so viele in Stücke reißen, wie es brauchte, um ihre Leiber gänzlich im Blute der unreinen Wesen zu tränken. So wie der Lebenssaft des Eisdrachen auf seiner eigenen Haut haften blieb, färbte das Blut der Trolle und Riesen die ehemals weißen Schuppen fortan in einem ewigen Rot. Die neue Gestalt der sechs sollte all jenen, die dem Volke der Menschen Böses trachteten, fürderhin als blutiges Mahnmal ihrer Vorgänger dienen.
Den übrigen sechsen wies er, behutsam im Safte der Pflanze zu baden, deren lähmendem Gifte er den Sieg über den Ersten ihrer Art verdankte. Die grüne Erscheinung dieser Drachen war der Macht eines scharfen Geistes gewidmet, der den Sterblichen den Sieg über all ihre Feinde und selbst über eine Göttin zu schenken vermocht hatte.
Hiernach kehrte der Blutige ein letztes Mal zur Winterkrone zurück und schlug mit seinem Schwerte zwölf Kristalle aus dem Rückenkamm des Kadavers des ersten Eisdrachen heraus. Gleich seinen Dienern tränkte er sechs davon im Blute der Trolle und Riesen und tauchte die übrigen sechs ins Gift jener seltenen Pflanze. Dann nahm er die zwölf Steine mit sich in die Höhe und verteilte sie wahllos über den Ländern der Menschen, im Norden wie im Süden entlang des westlichen Meeres. Diejenigen unter ihnen, die die Kristalle fanden, nannten sie ehrfürchtig „Drachentränen“, da ihre Form eben so beschaffen ward. In den Sagen, die alsbald darum gesponnen wurden, handelte es sich um die versteinerten Tränen des ruhelosen Geistes des ersten Eisdrachen. Er habe sie in tiefstem Gram vergossen, als er erkannt habe, dass es seine maßlose Selbstliebe gewesen war, die es San’Guis ermöglicht hatte, ihn zu überlisten und dass er damit auch Schuld am Dahinscheiden seiner geliebten Mutter trug. Es hieß, wer im Besitze einer Drachenträne war, konnte, so sein Herz rein und sein Wille stark genug war, den Blutigen um die Unterstützung eines seiner Zwölf ersuchen, damit dieser ihm in seiner Sache beistand. Eine solche Anrufung aber barg ein ungewisses Maß an Gefahr in sich. Zwar waren die einstigen Eisdrachen demjenigen, der sie mit dem Blute des Ersten ihrer Art an sich gebunden hatte, in ewiger Treue ergeben, doch galt dies nicht für die Sterblichen, denen sie einst bittere Feinde gewesen waren. Wer über sie gebieten wollte, war gut beraten, ihrem neuen Herrn in der Gestalt von Körper und Seele zu ähneln, so dass sie es nicht wagten, an seinem Worte zu zweifeln. Tat er es nicht, so erschien er ihnen als Spöttling, der ihnen die Fesseln ihrer Knechtschaft aufzeigte, indem er sich des Befehls über sie vermaß. Je näher ein Sterblicher dem Abbild des Blutigen stand, desto eher konnte er hoffen, dass sein Wort von einem Drachen als das seines Herrn anerkannt wurde.

Die Rettung des Nordens aber ward nicht von unbegrenzter Dauer. Jahrhunderte nach den Geschehnissen auf der Winterkrone begann sich in den uralten Bergen eine andere unheilvolle Macht zu regen. Die nördlichen Reiche der Menschen waren indes zu großem Wohlstand und zu solch gewaltiger Stärke aufgestiegen, dass sie keinen Feind mehr unter den Lebenden zu fürchten gedachten. Inmitten dieser fordernden Größe, die dem einfachen Frohsinn der Ahnen zum Spotte gereichte, geschah es, dass man die alten Erzählungen als Mythen und Wintermärchen verwarf, die selbst die Großväter und Urgroßväter nicht mehr mit eigenen Augen zu bezeugen vermocht hatten. Statt sich der beherzten Verdienste eines fernen Sagenhelden zu erinnern, pflegte man lieber den Glauben an die Unbezwingbarkeit des Gegenwärtigen und an die Unsterblichkeit des eigenen Erbes.
Von der Blüte und der Blindheit der Nordländer angezogen, verließen eines Tages die unheimlichen Nebelgeister, die einst versucht hatten, auch San’Guis von seinem Pfade abzubringen, ihre angestammten Orte in den Adlerbergen und stiegen in die Ebenen herab. In aller Heimlichkeit kamen sie über die ahnungslosen Gemüter der Menschen und bestärkten das Unmaß ihrer Überheblichkeit. Doch anstatt die Stärke des Nordens nach außen hin zu einen, hetzten die Geister Herrscher, Häuser und Reiche aufeinander los. Es entbrannte ein verheerender Krieg, dem sich schon bald kein Bewohner der nördlichen Gefilde mehr zu entziehen vermochte. Unter dem stetigen Lauf des Rades der Vernichtung gab es einige, die sich an den Namen des Blutigen erinnerten und sich auf sein altes Versprechen berufen wollten. Sie bedachten jedoch nicht, dass San’Guis dem Volke der Menschen zwar Schutz vor seinen Feinden zugesagt hatte, nicht aber vor sich selbst. Im Irrgarten ihrer eitlen Gegnerschaften gefangen, vermochten die meisten nicht, ihren wahren Feind zu erkennen, der unscheinbar hinter all dem Übel stand und es nach Belieben leitete und lenkte wie ein Puppenmeister sein Marionettenspiel.
Als über furchtbare Dekaden hinweg die Zerstörung getobt und gewütet hatte, verblieb im verwüsteten Norden schließlich kaum noch etwas, das den Flammen des Krieges als Nahrung hätte dienen können. Zur selben Zeit aber brachen sich Dämonen des Schattens einen Weg in die Welt der Sterblichen und trieben die Länder des Südens an den Rande des Abgrunds. Die dortigen Völker und Reiche mussten ihre gesamte Macht auf den Kampf gegen den fremdartigen Feind fokussieren und so gab es niemanden, der dem Walten der Nebelgeister im Norden hätte Einhalt gebieten können. Sie breiteten ihre schweren Wogen über die fruchtbaren Ebenen aus und ertränkten alles Leben in den trüben Schwaden ewigen Dunstes. Die letzten überlebenden Menschen, die dem Einfluss der Geister entronnen, flohen in die südlichen Länder und hofften, dort eine neue Heimat zu finden. Andere hingegen verfielen den gespenstischen Worten und hausten fürderhin in den verfluchten Gefilden ihrer Väter.
Das Singen der Vögel, das Rauschen der Bäume und der Ruf allen Lebens sollten in den verlorenen Weiten nunmehr unbeantwortet verhallen. Dies war die Stunde, da die nördlichen Länder vom Angesicht der Welt getilgt wurden und da die Ebenen des Schweigens an ihre Stelle traten.

Nachdem das zweite und endgültige Verhängnis der nördlichen Reiche eingetreten war, einten sich die wackeren Recken, die zu jener Zeit im Besitz der zwölf Drachentränen waren, in einem Land weiter südwärts. Sie machten die Kunde laut, zwar sei der Fall des Nordens ein bitterer Schlag für das Volk der Menschen, doch dieses Geschick sei auch eine unausweichliche und gerechte Lektion gewesen, die jenen widerfahren musste, die die einstigen Opfer und Taten des Blutigen der Vergessenheit anheim fallen ließen.
Nach den beiden Farben der Kristalle, die sie erworben hatten, schufen sie zwei Banner, ein rotes und ein grünes, unter welche sie sich als begeisterte Jünger ihres Gottes scharten. Sie nannten sich seine Ritter und selbst seine Drachen, womit sie am Range seiner höchsten und treuesten Diener Anteil forderten. Der Orden der Roten Drachen ehrte vor allem die Stärke und die Standhaftigkeit des Herrn des Blutes und der Reinigung, während sich der Orden der Grünen Drachen in besonderer Weise seiner Listigkeit verbunden fühlte. Sie gewannen viele Anhänger für ihre Sache, darunter auch Fürsten der südlichen Länder und Abkömmlinge alter nordischer Herren.
In der Stunde, da das aufziehende Morgenrot seine sanfte Decke über das Licht des sterbenden Vollmondes ausbreitete, gedachten sie fortan stets des blutigen Triumphes ihres Herrn und Gottes.
Beide Orden verschrieben sich der heiligen Pflicht, sein Vermächtnis über alle Zeitalter der Erde hinweg zu erhalten. Sie machten es zu ihrer ewigen Aufgabe, seine einstigen Taten zu ehren und ihnen durch eigene nachzueifern. Mit ihrer Macht bewahrten sie das Volk der Menschen im Laufe der Jahrhunderte vor vielen Feinden und Gefahren und dienten ihrem Herrn seit jeher untertänigst und in würdigster Weise bis in die heutige Zeit.
Und so sei es noch zu jener blutigen Stunde, da unserer Welt der Morgen ihres letzten Tages dämmern wird.


[size=-1]Magister Ianus Horin, Erster Magus und Hofschreiber des Hochmeisters Tengorn von Westwald
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Anora

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Puh, geschafft! Na, das lange Warten hat sich aber gelohnt! :up:

Jetzt aber schnell wieder zurück zu unseren Charakteren, Al! :p
 

Nebressyl

Knuddeliger Incubus
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Sorry für die lange Abstinenz Leute...aber leider bin ich zur Zeit einfach nur unkreativ. :(
Ganz zu schweigen, dass meine Zeit aktuell von einigen anderen Sachen massiv in Anspruch genommen wird...ich hoffe ihr könnt mir verzeihen. :rolleyes:

Sobald ich wieder einen kreativen Schub habe melde ich mich wieder zu Wort. ;)
 

Alyndur

Zwielichtiger
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So, das versprochene Nordend-Kapitel wurde jetzt meinem letzten Post über der Alyndur-Passage hinzugefügt.
 

Anora

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Und ich war auch nicht untätig.
Anora Productions proudly presents: Alyndur ;)
 

Alyndur

Zwielichtiger
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Ja, nicht schlecht... aber doch nichts im Vergleich zu meinem neuen Avatar. ;)
 

Darghand

Einer von vielen
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Haha, Alyndur bekommt am Hinterkopf eine hohe Stirn. :D


;) Nee, im Ernst, sehr schick. Wann kommt denn mal ein Portrait von Harmund? Oder einem meiner diversen anderen Charaktere? :p

btw. nachdem der Grenzläufer schon wieder an der Reihe war kümmer ich mich in den nächsten Posts wieder um Ulbrun und den Rest.
 

Anora

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Hee, schon mal was von Glanzlichtern gehört? :p

Und zu deiner Frage: Die Bilder kommen dann, wenn du mir mal eine sehr genaue Beschreibung vom Aussehen und der Ausrüstung deiner Chars (Möglichst mit einem Foto von irgendjemandem (Schauspieler o.ä.), der in etwa deiner Vorstellung entspricht, damit wir auch tatsächlich die gleiche Vorstellung haben...) schickst - Und sie dann nicht im nächsten Post gleich umbringst! :p
Und ja, das war eine Aufforderung. :D

Seit wann haben wir eigentlich diesen Smiley: :wunder:
Find ich gut, der passt zu mir! :D
 

Gala

Labyrinth-Leichnam
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In einem anderen Forum benutz ich den dauernd, aber dort passt er zum Rest der Smileys.

Hier ist er IMHO im Stil zu anders.
 

Anora

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Wieso, ich finde der passt sehr gut zu den anderen Smileys? :wunder:
 

Sir Darian

Ritter des Helm
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Hmmm... *grübel*

Kurzer OT Einwurf, da Gala über den neuen nur meckern kann: :rolleyes:

Das ist anderer Stil.
Oder das.
Oder das.

Oller Meckerer. :rolleyes:
 

Anora

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Ich find ihn super, Pie, ich schaue recht oft so wenn ich im Forum lese. :wunder:
Der wird ab jetzt mein Lieblingssmiley! :D
Der einzige Smiley, der meiner Meinung nach nicht ganz in die Reihe hier rein passt, ist der hier: :fies:
Aber ich liebe ihn trotzdem! :D
 

Enigma

Suchender
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Noch einmal OT:

Ja, dem hier :fies: fehlt die Kontur.

 
 

Morgan

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na ein Glück, dasses auch ohne mich hier heiss her geht ^^° Immer noch voll im Stress ist... dieses WE in München und kommendes WE auf Mittelalterveranstaltung auf Burg Herzberg in Hessen....Knuddel und Schokokekse an alle ^^
 

Anora

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*wischt die Spinnenweben weg*

Hey, wie sieht es inzwischen bei euch aus? Seid ihr wieder soweit, dass wir weiterschreiben können? Ich habe meine nächsten 1 1/2 Posts soweit fast fertig, aber was ist mit euch? Ist doch langsam mal an der Zeit, die Sommerpause wieder zu beenden, oder nicht?
 
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