ZORA hatte ihren Wagen bei einem Bauern untergestellt, der für ein paar Kupferstücke bereit war, keine Fragen zu stellen, so ritt sie auf Flori munter voran. Sie wusste, ihre Zeit lief ihr von dem Moment an davon, in dem Xsar die Taverne betreten würde. Es wurde schon dunkel, als sie das Haupttor der Garnison erreichte.
"Helm zum Gruße, Fremde! Wer seid Ihr, was ist Euer Begehr zu dieser späten Stunde? Helm sieht alles, wisset dies!"
"Tymoras Lächeln Euch und Euren Kameraden, ich bin Rote Zora, eine Bardin auf der Suche nach wahrem Heldentum edler Recken, und war gewiss hier in dieser Garnison fündig zu werden, steht doch hier Helms lichtes Auge wachsam gerichtet auf.." ZORAs Stimme nahm einen verschwörerischen Ton an. "...die finsteren Wege des Zwists und der Zwietracht durch die irregeleiteten Huldiger jenes Gottes, dessen Name ich in Eurer Gegenwart lieber nicht aussprechen möchte"
Die Wachen nahmen unwillkürlich Haltung an. Genau, darum ging es ja eigentlich, Tage, Wochen, Monate der Belagerung waren in ein abstumpfendes Einerlei übergegangen, und Heldentum - oh, weh - davon würde diese zauberhafte Bardin in dem Einerlei der Routinen des Garnisonsalltages kaum finden können.
"Ach, werte Dame, Heldentum ist rar, wenn es um Belagerung und Abnutzung geht, vielleicht solltet Ihr Eurer Wege gehen!"
"Nicht daran zu denken, vielleicht kann ich Euch ja mit den Heldentaten aus fernen Landen die Stimmung aufhellen? Ich weiß Balladen und Oden zu singen von tapferen Helden, die die Moral Eurer Truppe gewiss zu heben helfen!"
"Das allerdings könnten wir gut gebrauchen. Wir werden Euch dem Kommandanten vorstellen, darf ich?"
Sehr widerstrebend schnallte ZORA ihr geliebtes Schwert ab, und reichte es dem Wachhabenden. Verdammte Zeitnot. Sie hätte wahrscheinlich eine Viertelstunde gebraucht, um den Kerl zu beschwatzen, dass ihre Klinge an sich nur eine ungefährliche Requisite wäre, von der niemand etwas zu fürchten hätte. Eine Viertelstunde, die sie nicht hatte.
So ging sie flankiert von zwei Helmiten unbewaffnet in das Lager, und dennoch stellte sich ein gewisses Triumphgefühl ein, als sich hinter ihr die Schranke schloss. Sie war drin.
Ein paar Rückfragen, Befehle und Kommandos später saß sie im großen Rund eines Lagerfeuers, mit dem die Wachablösung zwischen der Abendgarde und der Nachtwache begangen wurde. Die ganz überwiegende Zahl der Helmiten würde nun in die Zelte gehen und im erholsamen Schlaf die Kräfte tanken, die sie für ihren zuweilen zermürbenden Dienst am Tage brauchten. Damit sie auch was schönes zu Träumen hätten, so hatte der Kommandant angeordnet, sollten sie noch der Bardin zuhören, die heute das Lager besucht habe.
ZORA hatte - auch das war Teil der Tarnung, in der Tat ein ganz ordentliches Salär mit dem Kommandanten ausgehandelt und außerdem ihre heißgeliebte Pfefferklinge wieder erhalten. Sie sei schließlich keine Gefangene und als einzelne Frau ja wohl kaum eine Gefahr für die Sicherheit des Lagers voller bewaffneter Ritter. Sie stimmte ihre kleine Okulele und stimmte ein Lied an:
Ich bring Euch Kunde von der Stadt,
dort findet niemals Winter statt,
es ist warm dort, hell und rein
und jedermann mag dort gern sein
und über Recht und Ordnung wacht
sowohl bei Tag als auch bei Nacht
das Auge Helms und seiner Treuen
die weder Müh noch Plagen scheuen
mit ihrem Leben zu beschützen
was andre selbstverständlich nützen
Sitte, Anstand und auch Tugend
vor allem auch bei unsrer Jugend
und manchem finsteren Gelichter
waren sie ernste, strenge Richter
*ein erster Applaus rauschte durch die Reihen,
ja, so wollten sie verstanden sein, das war ihr Leben*
Doch dann kam eine schlimme Zeit
Es machte sich ein Schatten breit
und keiner konnte ihn recht fassen
doch wurd es dunkel in den Gassen
Helms Ritter suchten diesen Feind
sie standen heldenhaft vereint
und jeder Drache wär verloren
kein Dämon bliebe ungeschoren
doch blieb der Feind komplett verborgen
und sähte Zwietracht, Angst und Sorgen
ein Gnom nur, klein und schattenhaft
er wirkte durch der Lüge Kraft
Er säte Gift mit seinen Reden
und es erreichte förmlich jeden
irgendeins seiner Geschichten
die alles das zugrunde richten
was unsereins zusammenhält
Vertrauen ist doch das was zählt
und er zersetzte es mit List
ich weiß nicht, was noch böser ist.
*die Zuhörer waren gebannt. Ja, die verheerende Wirkung von Misstrauen und Zwietracht kannten sie, und tatsächlich war ihre Macht mehr zu fürchten als der Atem eines Roten Drachens*
Doch einer ließ sich nicht beirren
er forschte mühsam durch die wirren
Knäule wilder Truggespinste
durchschaute schließlich jene Künste
die dieses Netz so kunstvoll woben
dass nichtmal Helm von ganz dort oben
ein Anfang oder Ende sah
doch nun war die Erlösung nah
Denn statt den Dschungel ganz zu lichten
musste man seine Blicke richten
auf nur eine einzge Spur
und folgt man dieser einen Schnur
wird nach Knoten, Schlaufen, Winden
irgendwann den Anfang finden.
Und so erreichte jener Mann
- ihr wisst es schon Sir Darian -
*anerkennendes Murmeln. Das war ein Name, den man kannte, und wenn die Bardin Gutes von diesem Manne sang, war ihr der Respekt sicher*
die Quelle all der üblen Plagen
die über diesem Orte lagen.
Sofort öffnet der Gnom den Mund
und tut nur noch mehr Lügen kund
um der Strafe zu entkommen
da hat der Paladin genommen
den Schild in glänzend-reinem Stahl
und lenkt mit ihm der Sonne Strahl
direkt dem Lügner ins Gesicht
"Fürchte, Böser, Helms Gericht!"
Und eh der Finstre Worte findet
ist er ganz und gar erblindet
und ertaubt sind seine Ohren
und jede Sprache ist verloren
Helm selbst war der gestrenge Richter
und sofort wurd's wieder lichter
das Zwielicht wich dem Sonnenschein
man konnte wieder ehrlich sein
und wieder neu Vertrauen fassen
und ließ Vergangenes verblassen.
*Freundlicher Applaus, ein gutes Ende, wie die Helmiten es mochten. Am Ende alles gut und in Helms gerechter Ordnung*
"Das habt ihr sehr schön gemacht, hier ist Eure Belohnung, und wenn ich Euch sonst irgendwie helfen kann?" Der Kommandant reichte ZORA einen Beutel mit Münzen. Für ZORA hatte sich der Besuch schon gelohnt. Aber da war ja noch dieser Wettlauf. Sie hatte Zeit vergeben, und sie musste hier weg.
"Ich habe eine Bitte. Sie könnte vielleicht merkwürdig erscheinen..."
"So?" der Kommandant zog die Augenbrauen hoch.
"Ich will zu den Cyric-Leuten durch. Das Wesen von Zwietracht und Gemeinheit will ich erforschen, um meinen Oden an die Hüter von Wahrheit und Ehre noch authentischer, noch echter wirken zu lassen. Das eben, das war ja nur ein erster Versuch"
"Das ist Wahnsinn. Ihr begebt Euch in Gefahr. Seid Ihr gefeit gegen die Mächte von Verrat, Misstrauen, Missgunst und Neid? Und erst recht, könnt ihr gegen die Männer bestehen, die sich dem ganz verschrieben haben? Und schließlich. Es ist ein magischer Wall gegen alles Gute vorhanden, den nicht einmal unsere mächtigsten Priester bannen konnten - wie wollt ihr da hindurch? Ich sehe doch, dass ihr ein gutes Herz habt!"
"Lasst das meine Sorge sein. Ich will es riskieren. Darf ich den Gefallen, den ihr mir schuldet, nutzen, dass ihr mich bis an den Wall bringt, und ich dann meiner Wege gehen kann?"
"Ich würde Euch gern ein paar tapfere Leute mitgeben, aber der Wall ist undurchdringlich. Auch ihr werdet scheitern, und so ist es mir ein leichtes, den Wunsch zu gewähren. Versucht es nur immerhin, und solltet ihr lebendig hindurchkommen und sogar zurückkehren, bin ich begierig von Euren Abenteuern zu hören. Aber wahrscheinlich kehrt ihr unverrichteter Dinge wieder um - wenn euch kein schlimmeres Schicksal ereilt"
Er sah tatsächlich bekümmert aus. ZORA lachte. Vertraut dem Glück des Narren! Selbst wenn Helms Macht nicht alles Dunkel durchbricht, ist Tymoras Lächeln denen hold, die etwas riskieren. Lasst mich gehen."
So ritt ZORA auf ihrem guten Flori bald auf den magischen Wall zu. Ihre Begleiter hatte sie fortgeschickt. Auf Helmiten würde das magische Gebilde sicherlich extrem reagieren, das musste sie nicht haben. Der Wall war nicht materiell. Es war ein Energiefeld, und je weiter sie ritt, desto mehr spürte sie eine Art magischen Gegenwind. "So ein Mist, fluchte sie innerlich, dieser Helmite hatte recht, ich habe ein gutes Herz, und mein Flori noch viel mehr. Ihr Schecken, tatsächlich eine treue gute Seele, kam keinen Huf mehr vorwärts. ZORA stieg ab und nahm ihn am Zügel, kam aber auch nicht recht weiter. Sie kämpfte verbissen, aber sie mussten umkehren. Und dann geschah etwas entsetzliches. Als sie in die Gegenrichtung marschieren wollen, war der magische Gegenwind genauso stark. Klar, der Wall sollte nicht nur Eindringlinge, sondern auch Flüchtlinge aufhalten. Und Wesen böser Gesinnung sollten ihn problemlos in beide Richtungen durchschreiten können. ZORA war völlig am Ende mit ihren Kräften. Der Weg nach vorn war unbegehbar, der Weg zurück nicht mehr zu schaffen. Sie sank neben ihrem Pferd zu Boden. War das das Ende? Kann man denn so bescheuert sein, etwas schaffen zu wollen, was selbst die weisesten und mächtigsten Helmpriester und Paladine nicht zustande brachten. "Du dummes Gör!" schalt sie sich, und wollte sich gerade der Verzweiflung hingeben, als ihr Blick auf Flori fiel.
Dieser ausrangierte Zirkusgaul hatte noch nicht alle Dressurschritte verlernt und setzte gerade vorsichtig einen Huf nicht vor, nein hinter den anderen. ZORA brauchte eine Zehntelsekunde, dann begriff sie und hechtete auf seinen Rücken. "Super, Flori, weiter so!" flüsterte sie ihrem treuen Schecken ins Ohr. Tatsächlich blies der magische Wind ihnen ins Gesicht, und solange sie rückwärts gingen, hatten sie also so etwas wie Mitwind, obwohl sie sich stetig dem Cyric-Heiligtum näherten. "Es muss eine verrückte Laune des Zufalls sein, dass diese Barriere so eine primitive Schwäche hat, und dass die wackeren Helmiten sie noch nicht entdeckten" dachte ZORA noch, und in ihrer diebischen Freude über diese Tatsache übersah sie selber etwas entscheidendes: Dass sie rückwärts und damit blind auf eine Gefahr zusteuerte, der sie nicht einmal sehenden Auges gewachsen gewesen wäre. So traf sie der paralysierende Bannstrahl des wachenden Cyric-Priesters total unvorbereitet. Wie ein Sack Kartoffeln fiel sie von ihrem Pferd und wurde bald in eines der Verliese unter dem Tempel gebracht.
"Prima" dachte ZORA, als sie halbwegs wieder zu sich kam. "Ich glaube, ich habe gewonnen, aber ich fürchte, Hokan und Xsar müssen mich hier rausholen, wenn ich von diesem Sieg noch etwas haben will..."