Ach herrjeh, ich war der letzte, der in diesem Thread postete, und nun komme ich nicht umhin, ihn zu necromancen... Aber ich wollte - falls hier überhaupt noch jemand reinliest, mal eben kurz meine Begeisterung mitteilen oder der von arte produzierten Serie "Die Grossen Mythen", die mir jetzt erst via amazon prime unterkam. Wie geil ist das denn bitteschön?! Mehr oder minder zufällig hatte ich da mal reingeklickt und war in den ersten drei, vier Minuten noch skeptisch, ob das nicht so ein selbstgefällig-artsymäßiger Scheiss sei, weil da (ich begann mit der zweiten Staffel) ein paar cartoonige Animationen mich stilmäßig etwas kalt erwischten (wenn man vorher den ja doch recht bildgewaltigen Kinofilm "Troja" - den mit Brad Pitt als Achill - gesehen hat, ist man auf diese "realistische" Ästhetik noch ein wenig eingegroovt und findet dann die eher reduzierte grafische Darstellung der Flotte der gen Kleinasien schippernden Griechen zuerst irgendwie arm...). Aber recht schnell wurde mir klar, was ich da serviert bekam: die Nacherzählung der kompletten Illias von Homer. Wer liest sich sowas schon im Original durch? Bei mir in einem der Umzugskartons liegen immer noch sowohl die Illias wie auch die Odyssee, die ich mir im Wahn mal gekofft hatte, um sie dann, nach dreissig, vierzig Seiten des Mich-durch-Hexameter-Quälens ins Regal zum Staubfangen zu verbannen. Ich kannte also nur die "Kurzversion" einer Nacherzählung, die ich als Jugendlicher mal gelesen hatte und die da auf vielleicht dreissig, vierzig Seiten in einem Band "Die griechischen Götter- und Heldensagen" kam.
Aber hier wird man nun rundum bedient von arte. En Detail werden die handelnden Figuren dargestellt, die Götter, Halbgötter, Nymphen und sonstigen Wesenheiten. Ihre Verwandtschaftsbeziehungen, Erläuterungen, was sie abseits der Haupthandlung so auszeichnet... Und alle Nebenhandlungen, das ganze Hin-und-Her im Olymp, in Troja und im Griechischen Heerlager, werden aufgedröselt. Es ist ein Fest! Den Rahmen bildet die Erzählung. Die Geschichte wird von einem sehr guten (hab den Namen des Mannes gerade nicht im Kopf) Sprecher erzählt, wie wenn man mit ihm abends am Kamin säße. Seine Stimme ist sonor und ruhig, nie aber eintönig, ermüdet an keiner einzigen Stelle. Ich muß gleich mal nachschauen, wie der Mann heißt - in ihm hat Christian Brückner, die stimmgewaltige Allzweckwaffe der deutschen Lesebuch-, Dokumentationskommentator- und Synchonsprecher-Szene, einen Ebenbürtigen, womöglich gar einen Meister gefunden.
Es gibt - dem Himmel und den arte-Regisseuren sei Dank! - keine mit echten Darstellern eingespielten Szenen, wie man sie bis zum Erbrechen von den üblichen ZDF-History-Streifen kennt, wo zwecks Illustration des Erzählten immer wieder Kriegslärm verursachende Billig-Statisten Schwerter und Hellebarden schwingen oder frisch gebastelte Filzhüte in den Händen zerknautschen um "einfaches mittelalterliches Volk" zu mimen. Vielmehr werden die Geschehnisse im animierten Graphic-Novel-Stil gezeigt. Und der ist unglaublich gut gelungen in seiner Mischung aus Licht- und Strukturüberblendugs-Effekten und auf Silhouetten konzentrierter Stilisierung (die unwillkürlich an griechische Vasenmalereien denken läßt). So geil kann Trickfilm aussehen, der nie seine eigene Virtuosität und künstlerische Abgedrehtheit in den Vordergrund schiebt, sondern immer und an allererster Stelle den zu transportierenden Inhalt im Blick hat. Mir fehlen wirklich die Worte, um das angemessen zu loben, denn hier findet man das, was in der "Künstlerszene" so rar ist: Bescheidenheit. Der Zuschauer soll nicht ob des grafischen Feuerwerks die Geschichte vergessen, es wirkt so, als wenn die Macher der Serie einer Art religiöser Geheimgesellschaft angehörten, deren oberste Regel lautet: "Alles Lob und Preis den alten Griechen und dem Großen Homer!"
Als einer, der sich für Kunst und insbesondere auch für ältere Kunst interessiert, bekomme ich ein zusätzliches Bonbon geboten. Denn neben den für diese Filmserie neu erschaffenen Grafikanimationen werden immer wieder Kunstwerke früherer Epochen eingeblendet, die das gerade Erzählte zeigen: Ist von Zeus die Rede, wird eine griechische Büste seines rauschbärtigen Antlitz' gezeigt, wird davon erzählt, wie Odysseus, der sich um den Kriegsdienst drücken will, ein's auf Wahnsinniger macht und den Strand pflügt, werden Zeichnungen und Gemälde dieser Szene eingeblendet, kommt die Rede auf Agamemnon, wird die berühmte Goldmaske gezeigt, die Schliemann für eine Art Portrait des Königs hielt. Griechische Bodenmosaiken werden ebenso selbstverständlich als Bebilderung des Geschehens verwendet wie surrealistisch verfremdete Darstellungen der Helden durch de Chirico oder Max Ernst. Das geht flott durcheinander, neueste modernistische Illustrationen stehen neben altertümlichen Grabbeigaben - und so wird ganz nebenbei miterzählt, wie unglaublich stark dieser europäische Ur-Mythos unsere Kulturen in den letzten zweieinhalb tausend Jahren geprägt hat. Viele der auftauchenden Kunstwerke kannte ich schon - kannte aber eben nicht ihre inhaltliche Bedeutung, wußte sie nicht richtig einzuordnen und unterschätzte sie daher als "bloß ästhetisch interessant".
Nehmt Euch die Zeit, guckt Euch diese zwei Serien an! Staffel 2 erzählt in voller Länge die Illias (Spieldauer der Folgen liegt immer so bei round about 20 - 30 Minuten). Während Staffel 1 (ich bin irgendwo bei Folge zehn oder elf im Moment) die unterschiedlichsten Figuren und Erzählungen aus der griechischen Mythologie beleuchtet. Da lernt man dann, wie Hades zu seiner Frau kam, was es mit dem Granatapfel
dieser Schönheit auf sich hat, wie Hermes und Apollon beste Buddies wurden, warum Athene den Namen ihrer Jugendfreundin Pallas vor den eigenen setzte, wie kompliziert das Verhältnis zwischen Zeus und den Frauen sich gestaltete, was Medea zur schaurigsten Frauengestalt aller Zeiten werden ließ, wieso man sich womöglich beim Totschlagen von Spinnen etwas zurückhalten sollte, wenn man es sich nicht mit einer kriegerischen Göttin verderben möchte, und warum der Hellespont so heißt, wie er heißt...