Hallo zusammen,
ich hätte nicht gedacht, dass die Umfrageergebnisse für die Union auch nur ansatzweise der Realität entsprechen könnten (sie waren seit ~20 Jahren immer überzeichnet). Vor allem, weil ich einerseits keinen Grund kenne, warum jemand, der bei den letzten zwei Wahlen nicht Merkel-CDU gewählt hat, es diesmal tun sollte. Stimmengewinne bei der Union hatte ich mir allein bei der CSU vorstellen können. Aber es sei, wie es sei, wenns die Leute so wollen, regiert die Union halt weiter. Kann durchaus sein, dass sich dieses Ergebnis als Pyrrhus-Sieg für die Union erweisen wird, ähnlich wie die Zweidrittelmehrheit für die CSU in Bayern 2003 und die 14,6% für die FDP 2009. Das Ergebnis ist so hoch, dass die Union wohl kaum umhin kommen wird, diesmal selbst Verantwortung für die von ihr verfolgte Politik und alle Folgen zu übernehmen, statt es dem Koalitionspartner in die Schuhe zu schieben. Und da sie grade in der Europa-Politik massiv auf Zeit gespielt hat, um alles noch schlimmer zu machen, wird es sie als Hauptverantwortliche erwischen.
Zu AfD und FDP: Hier zeigt das Wahlergebnis ganz deutlich, dass die AfD tatsächlich ganz überwiegend Fleisch vom Fleische der FDP ist. Die ganzen Diffamierungen von den Vorrednern sind absurd. Das Programm ist de facto ordoliberal. Die FDP-Führung hat den großen Fehler gemacht, diesem Parteiflügel, der Unterstützung von nahezu der Hälfte der FDP-Mitglieder hatte, mehrfach voll ins Gesicht zu schlagen (bspw. Abwahl von Frank Schäffler aus dem Bundesvorstand im Frühjahr), gestützt nur von einer knappen Mehrheit unter den Parteifunktionären. Dafür und für einiges anderes ist die FDP zu Recht raus. Dass die AfD auch nicht drin ist, ist so schlimm auch nicht. Die Neugründung war einfach zu kurzfristig durchgezogen, mit dem Nachteil, dass viel zu viel irrlichternde Karrieristen sich auf den Listenplätzen breit gemacht haben (was ich da intern die letzten Monate erlebt habe, geht auf keine Kuhhaut). Außerdem könnte es die Konsolidierung im liberalen Lager befördern. Wenn man alle Parteien zusammen nimmt, die zumindest liberale Ansätze haben (FDP, AfD, PdV, Piraten, Freie Wähler), kommt man auf über 12% der abgegebenen Stimmen (hätte für 2 Parteien gereicht). Dass davon keine einzige im Bundestag vertreten sein wird, hängt mit einer idiotischen, sektiererischen Zersplitterung zusammen, die traditionell eigentlich für die politische Linke typisch ist.
Immerhin bietet es genügend Argumente, um die konservativen Trittbrettfahrer abzuwehren, denn die sind ja, siehe Unionsergebnis, nicht diejenigen, die das große Wählerreservoir ausmachen können.
Wegen Koalitionsbildung: Wenn SPD und Grüne nicht blöd sind, zwingen sie Merkel dazu, mit ihnen beiden zu koalieren, also schwarz-rot-grün. Das verhindert ein gegeneinander ausspielen, sichert die Bundesratsmehrheit (die weder schwarz-rot noch schwarz-grün hat), ermöglicht eine stärkere (inhaltliche) Verhandlungsposition und schiebt der Kannibalisierung im linken Lager einen Riegel vor. Auch die Drohung rot-rot-grün ist ja möglich und das mit! Bundesratsmehrheit auf Jahre. Allerdings habe ich meine Zweifel, ob das Spitzenpersonal beider Parteien zu solchen Überlegungen fähig ist.
5%-Prozent-Hürde: Sollte dringend abgeschafft werden. Die fast Wirklichkeit gewordene absolute Mehrheit für die Union ganz ohne Überhangmandatsverzerrung offenbart eine krassere Fehlrepräsentation als bei den meisten Wahlen mit relativem Mehrheitswahlrecht. Das führt den Gedanken der repräsentativen Demokratie ad absurdum und im Zweifelsfall dazu, dass gesellschaftliche Konflikte nicht im parlamentarischen System ausgetragen werden.