@Gala: ich hab dich auch nicht gemeint
Und ich hab mich bei diesen Aussagen nicht ausschließlich auf die Diskussion hier im Forum bezogen
Und es nicht schön, bei sowas zusehen zu müssen, nur muss man meiner Meinung nach sich halt immer im Klaren sein, dass man Prioritäten setzen muss. Die Friedensdividende nach dem Ende des kalten Krieges war meiner Ansicht nach eine gefährliche Illusion, die nur hinsichtlich der direkten Bedrohnung der Länger in Europa zutrifft, aber nicht so für die allgemein Sicherheitslage. Ich geb mal einfach ein paar Gedanken zum Besten (ohne große Belege und Anspruch darauf, dass es DIE Erklärung ist):
Warum ist die Lage in Syrien aus militärischer Sicht so schwierig? Weil Syrien stark von Russland unterstützt wird. Syrien bekommt einerseits diplomatische Rückendeckung aus Russland bei der UNO, andererseits auch direkte Waffenhilfe, vor allem Luftabwehr (aber auch einfach nur Munition). Damit steigt der wahrscheinliche Blutzoll und die materiellen Verluste (in modernes Kampfflugzeug kostet alles in allem schnell mal mehr als 100 Mio egal ob $ oder €), den ein Angriffer zu entrichten hätte.
Warum machen die Russen das? Weil sie es können und es gegen die NATO und speziell die USA geht. Und hier hole ich mal etwas weiter aus. Mit dem Ende der Sowjetuninion hat Russland aufgrund der Emanzipation seiner Satellitenstaaten und der Offenbarung des wirtschaftlichen Niedergangs (der vorher noch verschleiert wurde) seine Geltungs- und Machtposition in der Welt verloren. Man könnte auch sagen, dass das nach dem Rückzug in Afghanistan geschehen ist, aber das hängt denke ich doch so eng zusammen, dass man da nicht differenzieren muss.
Nach ein paar Jahren diverser Regierungen ist Russland seit mehr als 10 Jahren wieder eine lupenreine Diktatur, die wie jede funktionierende Diktatur ein Feindbild braucht. Da bietet sich die NATO samt den assozierten Staaten (die bösen abtrünnigen Osteueropäer-Verräter, die (noch) nicht in der NATO sind) doch an. An dem Spruch, dass Demokratien keine Kriege anfangen ist im Kern immer noch was Wahres dran, das sieht man den innenpolitischen Problemen der NATO-Auslandseinsätze: sobald es nennenswerte eigene Verluste gibt, müssen sich Demokratien zurückziehen und ohne starke Motivation (Genozid, Terroranschläge, Massenvernichtungswaffen) kommt sowieso nix in Gang. Somit kann Russland ein Feindbild gegen die NATO aufbauen, ohne ernsthafte Konsequenzen fürchten zu müssen. Würden sie das bspw. mit den Chinesen machen, wäre das wesentlich riskanter.
Aber natürlich nicht wieder einen neuen Kalten Krieg, auch Russland ist lernfähig. Das geht auch wesentlich weniger direkt (s. NATO-Raketenschild, der eigentlich keine Bedrohung für Russland aber weidlich ausgeschlachtet wird oder eben aktueller der Angriff auf die westlichen NGOs in Russland und deren Diskriminierung) und muss ja auch nur nach Innen wirken. Vor allem da man die Europäer und im Speziellen die Osteueropäer als Abnehmer (und Bezahler) für das russische Erdgas benötigt (man braucht ja auch in einer Diktatur finanzielle Mittel um eine Elite/Oberschicht ruhig zu stellen). Zudem ist das Erdgas eine tolle Methode, um unbotmäßige Staaten ein wenig zu schikanieren. Wessen Bevölkerung im Winter friert, hat ein Problem und überlegt es sich dreimal, eine Konfrontation weiter zu führen. Natürlich würden unsere russischen Freunde sowas nie machen (außer vielleicht mit der Ukraine, ups).
Und es funktioniert: Russland hat einen Vertreter im NATO-Oberkommando sitzen, ist bei den G8 dabei und wird von allen umschmeichelt für welche eigene Gegenleistung? Genau: keine. Offiziell nach NATO Lesart sind die Russen unsere Freunde und unterstützen uns. Zum Beispiel
- im Balkankrieg gegen Serbien; hier ist Russland direkt nach der serbischen Kapitulation in Serbien eingerückt und hat einige interessante Militäreinrichtungen gesäubert (offiziell besetzt und unter Kontrolle gebracht). Gut, war vielleicht tolle Aufklärung, dass die wussten, wann Serbien die Waffen streckt und rechtzeitig alles parat hatten, so dass sie schneller vor Ort waren als die Amerikaner. Oder sie wussten es, weil sie mit den Serben kooperiert hatten.
- in Afghanistan; wobei unterstützen Russland die NATO nochmals? Ach ja, weil sie die Taliban nicht(!) unterstützen... Aber man kann sich glaube ich vorstellen, wie man in der russischen Generalität und bei den Geheimdiensten sich freut, dass nach der eigenen Niederlage sich nun auch die NATO sich dort blutige Köpfe holt; aktive Hilfe bekommt die NATO da nicht. Und den islamischen Extremisten hilft Russland lieber mal nicht, mit denen haben sie selber genug Probleme. Vor allem haben die Amerikaner in Afghanistan ja vorgemacht, dass sich die Waffenhilfe für die Gotteskrieger leicht gegen einen wenden kann. Wie schon gesagt: Russland ist schon lernfähig (und hier mal ein Disclaimer: mit Russland meine ich immer die russische Regierung/Führung, nicht das russische Volk selbst).
- in Libyen; naja, da hatte Russland keine eigenen Interessen und man konnte sich hinterher wunderbar über die Interpretation des UNO-Mandats durch die NATO empören und sich Bonuspunkte sichern für die Angelegenheiten, bei denen es wirklich wichtig wird (und so kam es dann ja auch; wer hätte auch gedacht, dass der arabische Frühling in anderen Ländern die Herrscher nur mit Bürgerkrieg beseitigen kann... )
- in Syrien; hier werden offen Waffen geliefert und jede diplomatische Lösung verhindert. Warum braucht Russland denn den Hafen/Militärstützpunkt am Mittelmeer? Eigentlich nur als Operationsbasis gegen die NATO. Aber die NATO ist doch der gute Freund Russlands... ups.
Warum aber funktioniert das? Die einfache Antwort: Wunschdenken. Auch die NATO hat für das Wettrüsten im Kalten Krieg einiges bezahlt, das wünscht sich keiner zurück. Und vordergründig ist ja alles gut: es gibt Wahlen in Russland, die wirtschaftlichen Beziehungen stimmen, Energiewende ohne russisches Erdgas ist auch nicht gut und wer will seiner Bevölkerung schon erklären müssen, dass die sozialen Wohltaten zugunsten von Militärausgaben reduziert werden müssen (ein sicherer Weg um Wahlen zu verlieren)? Und die NATO ist von Russland nicht direkt bedroht, ein russischer Einmarsch/Angriff ist nicht zu erwarten. Und letzten Endes: wer wünscht sich nicht eine friedlicherere Welt mit weniger Waffen und Krieg (steht weit oben auf meiner Wunschliste).
Somit erkaufen wir uns einen größeren Wohlstand und Wohlgefühl damit, dass wir im Rest der Welt bei Problemen und menschlichem Leid weniger Einfluss und Handlungsmöglichkeiten haben. Nuja, realistisch betrachtet, machen wir das auf vielen Feldern, nicht nur auf dem militärisch-politischem (Entwicklungspolitik, Handelspolitik, Umwelt- und Energiepolitik, Abfallwirtschaft, etc. ; wird hier ja auch öfters diskutiert).
Ein schlechtes Gewissen hat man zwar dabei, aber irgendwie ist einem das eigene Wohlergehen bzw. das der eigenen Sippe/Umfeld dann doch näher (mea culpa).
Wenn man also an den Verhältnissen in der Welt (und somit auch in Syrien) etwas ändern will, muss man bereit sein, den Preis dafür zu zahlen. Und der könnte höher sein, als einem lieb ist (bzw. ist man bei genauerer Betrachtung für die persönlichen Konsequenzen dann doch nicht bereit, den Preis zu entrichten).
Und um diese etwas längere Auführung zusammenzufassen: das syrische Problem ist meiner Meinung nach Teil eines größeren und kann nicht separat gelöst werden. Russland hat noch einige Optionen in der Hinterhand (speziell was die Lieferung von Waffentechnik angeht) und kann die Eskalationsstufe noch erhöhen, wenn die NATO meint, dass sie jetzt etwas unternehmen müsste... da muss man sich im Klaren sein, was da auf uns zukommt, wenn wir tatsächlich was Wirksames unternehmen wollen. Kein angenehmer Gedanke...