Politik, 8. Staffel

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Darghand

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Aus der Veranwortung, selbst zu entscheiden, was mit den bereitgestellten Informationen angefangen wird (Schulterzucken, Demonstrieren, Bomben bauen...), kann wikileaks niemanden befreien. Ebensowenig wie es die Verantwortung für das Handeln irgendeines Regimes übernehmen kann.
 

Ysrthgrathe

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Relevant ist, dass sich nun jeder selbst ein Urteil darüber bilden kann, was davon wichtig ist, und nicht irgendwelche vorgefilterten und aufbereiteten Informationen kriegt wie das bei klassischen Medien der Fall ist.
Doch, natürlich bekommt man nur vorgefilterte und aufbereitete Informationen.
In gewisser Weise ist das sogar schlimmer als bei anderen Nachrichten.
Keine Privatperson kann man eben 250.000 Depeschen durchsehen, niemand kann sich realistischerweise selbst ein Urteil bilden.

Faktisch entscheiden also die "Medien-Partner", denen schon vorab die Informationen zugespielt wurden, nämlich The Guardian, Le Monde, Die New York Times, und Der Spiegel, welche Informationen wie interpretiert der Öffentlichkeit vorgestellt werden.
Der Spiegel hat angeblich 4 Monate lang mit 50 Redakteuren die Daten durchgesehen.
Die anderen, nichtbeteiligten Nachrichtenmedien werden jetzt mit Sicherheit nicht Zeit und Geld investieren, um selbst mühsam und Dinge zu recherchieren, die der Spiegel vielleicht schon hat und ihnen in zwei Tagen vor der Nase weg veröffentlicht.
Also müssen wir letztlich einfach dem Spiegel glauben, welche Dinge über Westerwelle in den Depeschen stehen. Die anderen "Medien-Partner" werden das kaum überprüft haben.
Wenn in den Daten zwei Depeschen vorhanden sind, die Westerwelle loben und eine, die Westerwelle schlecht macht, würde dann jemand die Hand dafür ins Feuer legen wollen, dass Der Spiegel nicht einfach die negative Depesche großartig öffentlich macht und die beiden anderen verschweigt?
Kann jemand garantieren, dass da nicht häufig stark aus dem Zusammenhang gerissene Aussagen zitiert werden und andere Aussagen ganz verschwiegen werden?


Wenn Du die Veröffentlichungen der Depeschen alle für Klatsch hälst, dann vergiss aber nicht, dass dieser Klatsch nicht irgend eine Privatperson betrifft, sondern die Arbeit von Diplomaten, die für die Kommunikation zwischen unseren Staaten verantwortlich sind und indirekt unsere Geschicke leiten.
Gerade bei der Diplomatie ist es aber doch klar, dass es besser ist, wenn nicht alles offen ausgesprochen wird und jeder über alles informiert ist.
In einer idealen Welt funktioniert es vielleicht, wenn sich Verhandlungspartner vorher offen sagen, was sie wirklich voneinander halten und ehrlich ihre Ziele ansprechen und mit welchen minimalen Ergebnissen sie gerade noch zufrieden wären.
In unserer Welt könnte man bei so einem Vorgehen aber garantiert niemals Verträge abschließen und die beiden Parteien würden sich über Jahre verkrachen.

Deswegen ist es absolut kontraproduktiv, wenn jeder Klatsch veröffentlicht wird. Sonst können zum Beispiel Diplomaten niemals mehr Klartext mit ihren Chefs reden sondern müssen alles politisch unangreifbar ausdrücken und sich möglichst wenig konkret äußern.
Ob man so in den Außenministerien überhaupt noch sinnvoll arbeiten könnte?
 

David

Moderner Nomade
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Dasselbe Prinzip gibts doch oft schon bei den Bundestagsdebatten:
Wenn die Kameras draufhalten muss man bei jedem Satz an die Wähler denken, so kann man kaum echte Politik (bzw. Kompromisse, was ja meistens dasselbe ist) machen. Also trifft man die Entscheidungen im Hinterzimmer, wo man nicht befürchten muss dass jeder Satz monatelang durch alle Comedy-Shows gezogen wird, überlegt sich dann wie man die Entscheidung gut verkaufen kann, und wirft sich dann im Bundestag die vorbereiteten Pro- und Contra-Argumente um die Ohren und denkt drann dass jedes Wort noch Jahre später aus dem Archiv geholt und einem vorgehalten werden kann.

Solange aber vor der Wahl klar ist wofür ein Politiker bzw. eine Partei in diesen 'Geheimverhandlungen' eintreten will und nachher begründen kann warum bestimmte Kompromisse eingegangen werden mussten ist das nicht zwangsläufig intransparent. Komisch wirds erst dann, wenn zB der Kompromiss aus 0 und 2 Prozent Mehrwertsteuererhöhung bei 3 Prozent landet, das versteht dann wirklich niemand mehr. :D

Ein anderes Vorgehen stelle ich mir auch in etwa so effektiv vor wie zwei Juristen eine hitzige Debatte führen zu lassen, denen vorher gesagt wurde dass der Andere sich das Gespräch nachher mit dem Ziel ihn zu verklagen oder jeden noch so belanglosen Irrtum vorzurechnen auf Video anschauen wird. :fies:

@Darghand:
Natürlich wären diese Regimes dann für ihr Handeln verantwortlich, die könnten sich nicht damit rausreden dass jemand von außen durch wahrheitsgemäße Informationen die Unruhen angezettelt haben soll wenn sie sie niederschlagen lassen.

Aber deshalb muss man ja noch lange nicht eine Situation bewusst eskalieren, und wenn man dann zufällig als Privatperson Informationen an der Hand hat die die Politiker (vielleicht ausnahmsweise mal aus guten Grund) lieber geheim halten wollen fände ich es nicht besonders verantwortungsvoll einfach alles zu veröffentlichen was einem in die Hände fällt.

Angeblich macht Wikileaks so eine Überprüfung ja auch (nach welchen Kriterien auch immer), aber bei der Diskussion hab ich manchmal den Eindruck dass Manche meinen, es gäbe nichtmal theoretisch Situationen wo maximale Transparenz vielleicht der falsche Weg ist und dass man deshalb einfach alles veröffentlichen solle. (Btw. in Bezug zur Demokratie: Was, wenn eine Mehrheit solche Veröffentlichungen gar nicht will ? )
 
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Gala

Labyrinth-Leichnam
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@Olome: Aha.

Du sagst also eine Inflation voraus ? :D

Hat Paul Krugman kürzlich doch erst so schön widerlegt. :D

Mal von einer möglichen Inflation bei Rohstoffen abgesehen, rechne ich auch weiter nicht mit Inflation.

Außer natürlich alles kracht endgültig zusammen, dann weiß ich auch nicht, was genau passiert.
 

Ice

Technomage
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David:
"aber was, wenn sowas zB Unruhen anzettelt (zB weil belegt wird wie nen Diktator die Wahl gefälscht hat) die dann blutig niedergeschlagen werden ?
Das ist dann kein Spiel und keine tolle Story mehr
."
Wenn das jeweilige Volk genug hat und es zu Unruhen kommt, dann kann man das nicht Wikileaks anlasten, sondern dann hat der Diktator einfach den Bogen überspannt. Merke: Der Täter ist schuld, und nicht der Informations-Überbringer. Unruhen passieren nicht einfach so und aus heiterem Himmel.


Ysrthgrathe
"Doch, natürlich bekommt man nur vorgefilterte und aufbereitete Informationen."
Also wäre es besser, es gäbe Wikileaks nicht und die Mächtigen könnten weiter tun und lassen was sie wollen und das Volk hätte keine Möglichkeit wenigstens im Ansatz zu Überprüfen, wie sehr es angelogen wird?

"Deswegen ist es absolut kontraproduktiv, wenn jeder Klatsch veröffentlicht wird. Sonst können zum Beispiel Diplomaten niemals mehr Klartext mit ihren Chefs reden sondern müssen alles politisch unangreifbar ausdrücken und sich möglichst wenig konkret äußern.
Ob man so in den Außenministerien überhaupt noch sinnvoll arbeiten könnte?
"
Da pflichte ich Dir bei. Das ist aber der Preis, der nun bezahlt werden muss. Die Politik hat jahrzehntelang das Volk hinters Licht geführt, alles und jedes Kinkerlitzchen (je nach Staat) war geheim, die Presse berichtet willig im Sinne der Geldgeber und manipuliert durch Gewichtung und Verschweigen bei fast jedem politisch relevantem Thema.
Nun ist die Bombe geplatzt, viele Leute sind es leid, von der Politik und dem Kapital dauernd veräppelt zu werden, deshalb gibt es Wikileaks.

Die jahrzehntelag fehlende Transparenz der Politik wird jetzt halt mit dem Vorschlaghammer teilweise wieder hergestellt - das ist nicht unbedingt immer und in jedem Falle gut, aber besser als gar nicht.


Gruss, Ice
 

Gala

Labyrinth-Leichnam
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Fefe-Link: Change we can believe in: Obama verlängert Bushs Steuererleichterungen für die Reichen :grmpf:

Es gab nur EIN Ding, das Obama richtig machen mußte: seine Vorstellungen zum Steuersystem durchsetzen. Aber NEIN, er macht natürlich das genaue Gegenteil. :grmpf:


Achso, und for the record: Ich bin da 100% auf Ice's Seite. Geheiminformationen können im Internet übrigends schon seit Jahrzehnten anonym veröffentlicht werden. Wieso so ein Trara um Wikileaks gemacht wird, ist mir deshalb völlig unverständlich.
 

Ribalt

Ork-Metzler
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Wenn das Volk halt keine Steuererhöhungen bzw. die Aufhebung von Erhöhungen für Reiche will, dann gibts halt auch keine.
Selber Schuld, Sie haben ja die Republikaner wieder gross gemacht.
 

Ice

Technomage
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Ribalt:
Du gehst offensichtlich davon aus, dass die USA eine Demokratie sind, denn dann würde Dein Argument stimmen. Aber ich behaupte einfach mal, dass die Steuererleichterungen genau gleich auch unter den Demokraten gemacht würden, denn in den USA herrschen die Reichen, ganz egal ob in deren Demokratie-Simulation jetzt gerade die Demokraten oder die Republikaner die Oberhand haben.


Gruss, Ice
 

Lisra

Schmusekater
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Irgendwer hat die ja trotzdem gewählt.
 

Ribalt

Ork-Metzler
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@Ice
Die wichtigste Stelle deines Betrags scheint zu sein:
Aber ich behaupte einfach mal

Von dem ausgehend was wir "wissen" sieht es doch ganz einfach so aus:
Erst sollten die Steuerverbilligungen nicht verlängert werden, dann bekamen die Republikaner die Mehrheit bzw. hat Obama seine verloren und die Steuerverbilligungen für Reiche bleiben in folge dessen doch drin.

Alles andere ist dann wirklich nur noch pure Spekulation.
 

Ysrthgrathe

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@Ice
Also wäre es besser, es gäbe Wikileaks nicht [...] ?
Das hab ich doch nirgends behauptet.
Auf der einen Seite schreibst du, "dass unsere Medien es manchmal mit der Wahrheit nicht so genau nehmen" und führst als Beispiel SPON an.
Auf der anderen Seite übersiehst du aber, dass wir den Inhalt der Depeschen eben nicht von einer neutralen Instanz aufbereitet bekommen sondern genau von den eben kritisierten Medien wie SPON bzw. Dem Spiegel.
Unabhängigen und kritischen Journalismus kann Wikileaks nämlich leider auch nicht automatisch garantieren.

Das ist aber der Preis, der nun bezahlt werden muss.
Finde ich nicht. Ein Whistleblower ist laut wiki jemand, "der Missstände, illegales Handeln (z. B. Korruption, Insiderhandel) oder allgemeine Gefahren, von denen er an seinem Arbeitsplatz oder auch beispielsweise bei einer medizinischen Behandlung erfährt, an die Öffentlichkeit bringt."
Hier wird aber nicht gezielt auf solche Missstände aufmerksam gemacht sondern pauschal alle Daten, an die man rankommen konnte, öffentlich gemacht.
Für mich macht es einen bedeutenden Unterschied, ob man gezielt auf Missstände hinweist oder ob man wahllos sämtliche Informationen, egal welchen Inhaltes, weiterleitet.
Wir wollen doch auch nicht alle Politiker und Entscheidungsträger verkabeln und mit Kameras überwachen, damit wir völlige Kontrolle und Transparenz haben, oder?
Repräsentative Demokratie funktioniert ohne eine Mindestvertrauen in die gewählten Vertreter meiner Meinung nach nicht.
 

David

Moderner Nomade
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"Repräsentative Demokratie funktioniert ohne eine Mindestvertrauen in die gewählten Vertreter meiner Meinung nach nicht."
Ich glaub irgendwie, dass Ice dieses Vertrauen nicht hat, jedenfalls verstehe ich viele seiner Beiträge so.

Genausogut bräuchte es aber eigentlich auch für die direkte Demokratie ein gewisses Mindestvertrauen in das Volk, und was das angeht muss man ja eigentlich nur auf die jüngsten Entscheidungen der Schweizer (oder etwas weniger dramatisch auch den Entscheid in HH) verweisen. Im Ergebnis ist das auch nicht besser. Wenn mans recht bedenkt scheinen Menschen sich generell nicht besonders gut selbst regieren zu können, egal wie mans versucht..
*Bitte um Eroberung an die Vulkanier morst* :D

@Ice:
Wie oben schon gesagt liegt die Schuld am Ende natürlich immer bei dem der die Menschenrechte verletzt, da gibts keine Entschuldigungen.

Worums mir geht ist Folgendes:
Wenn man als Privatperson ohne jedes politisches Mandat Informationen in die Hände bekommt die die immerhin gewählten Politiker geheimhalten wollen muss man abwägen ob die Veröffentlichung mehr nutzt als schadet. Bei Infos über Machenschaften deutscher Politiker ist die Sache klar: Veröffentlichen und warten dass er zurücktritt. Aber wenn man befürchten muss, dass die Infos den Missstand (zB weil es eine Diktatur betrifft) nur verschärfen, aber nicht beenden können, ist es für mich nicht unbedingt besonders verantwortungsvoll trotzdem einfach alles zu veröffentlichen, auch wenns nur die Wahrheit ist.
 
Zuletzt bearbeitet:

Olome Keratin

Gleichgewichtiger
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@Gala: Wie Dargh vor etwa einem Jahr im Wirtschaftskrisethread schön ausgeführt hat, hängt das Entstehen von Inflation davon ab, wohin zusätzlich geschaffenes Geld fließt. Das meiste Zusatzgeld wird zwar in den USA geschaffen, aber bleibt nicht dort. Es wird stattdessen via internationale Finanzmärkte im Moment vor allem in die Schwellenländer gepumpt, die eine massive Inflation in einigen Bereichen sehen, insbesondere am Aktien-, Anleihen- und Immobilienmarkt.
Einige wie bspw. Brasilien wehren sich gegen die Geldschwemme bereits mit Sondersteuern auf ausländisches Kapital.
Daher führt Krugmans Argumentation, die allein die USA betrachtet, am Problem vorbei.
 

skull

Thronfolger
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Genausogut bräuchte es aber eigentlich auch für die direkte Demokratie ein gewisses Mindestvertrauen in das Volk, und was das angeht muss man ja eigentlich nur auf die jüngsten Entscheidungen der Schweizer (oder etwas weniger dramatisch auch den Entscheid in HH) verweisen. Im Ergebnis ist das auch nicht besser.

Das hängt natürlich sehr von deiner eigenen Bewertung des Ergebnisses ab.;) Immerhin haben die letzten beiden "großen" Volksabstimmungen in der Schweiz den klassischen Befürwortern der Volksabstimmung hier gezeigt, dass die Mehrheit der wahlberechtigten nicht automatisch so abstimmt, wie man selber es für richtig hält.:eek: Aber ich bin sicher, dass die Schweizer, die Minarette doof und das Strafrecht für Ausländer zu lasch finden, mit der direkten Demokratie sehr zufrieden sind.
 

Gala

Labyrinth-Leichnam
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:up: tagesschau.de: UNO spricht von Zensurversuch gegen WikiLeaks :up: - das finde ich doch mal ein klares Wort von richtiger Stelle ! :up:
Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, hat sich besorgt über die mutmaßlichen Einschüchterungsversuche gegen Partner der Enthüllungseite WikiLeaks geäußert. Derartige Bemühungen könnten als Versuch aufgefasst werden, "die Veröffentlichung von Informationen zu zensieren", auf eine Art und Weise, die das Recht von WikiLeaks auf freie Meinungsäußerung verletzen würde, sagte sie in Genf. [...]
Find ich doch mal schön, das wenigstens die UNO noch nicht völlig merkbefreit ist. Die Art und Weise, wie Politiker aller Länder auf Wikileaks reagiert haben, läßt mich nur zu der Schlußfolgerung kommen: von denen will ich nicht regiert werden.
 

Ice

Technomage
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Y:
"Hier wird aber nicht gezielt auf solche Missstände aufmerksam gemacht sondern pauschal alle Daten, an die man rankommen konnte, öffentlich gemacht."
So? Woher weisst Du das? Weisst Du, dass gegenwärtig von den ca 250000 Depeschen gerade mal knapp 1000 veröffentlicht wurden? Und das NACH Sichtung und löschen von Namen und allen sonstigen Angaben durch Wikileaks-Mitarbeiter, die angeblich und vielleicht Leben gefährden könnten? Von "wahllos" kann also nicht die Rede sein.

Der Preis, der bezahlt werden muss, ist der Preis für das Wiedererlangen von Transparenz. Transparenz, die uns von der selbstherrlichen und selbsternannten "Machtelite" jahrzehntelang weggenommen und vorenthalten wurde. Es geht um diese Transparenz, man soll sich da nicht an die Wortdefinition von "Whistleblowing" klammern.

"Wir wollen doch auch nicht alle Politiker und Entscheidungsträger verkabeln und mit Kameras überwachen, damit wir völlige Kontrolle und Transparenz haben, oder?"
Wir wollen das nicht, aber viele Politiker vieler Länder möchten genau das mit dem gemeinen Bürger tun. Vielleicht wäre das temporär - sozusagen als Kostprobe ihrer eigenen Medizin - für einige Politiker gar nicht so schlecht.


David:
"Ich glaub irgendwie, dass Ice dieses Vertrauen nicht hat, jedenfalls verstehe ich viele seiner Beiträge so."
Genau. Ich habe dieses Vertrauen nicht mehr. Das wurde verspielt, und zwar gründlich. In der Politik geht es längst nicht mehr darum, dem Volk zu dienen oder die Geschicke eines Staates so zu lenken dass alle davon profitieren. Sondern es geht meist entweder um irgendwelche "realpolitischen" Macht- und Ränkespiele, oder darum die Privilegien der Politiker, der Reichen und der Beamten zu erhalten, oder darum, die Bürger davon abzuhalten, irgend etwas grossartig zu ändern. Strukturerhaltung nennt sich das. Es geht darum, dass Mächtige - seien das Politiker oder Wirtschaftskapitäne oder Millionäre oder was auch immer - ihre Macht erhalten und ausbauen wollen, und dabei schrecken sie vor nichts, gar nichts zurück. Natürlich unter der Voraussetzung, dass es nicht raus kommt.
Wikileaks zeigt das ja jetzt sehr schön mit ihrem Stich in allerlei Wespennester. Wieso reagieren die USA und auch Deutschland jetzt so gereizt? Haben sie etwas zu verbergen? War da nicht mal der leidige Spruch "Wer nichts zu verbergen hat, hat nichts zu befürchten."? Wie steht's jetzt damit? Gilt der nur für das gemeine Volk und nicht für Politiker und Wirtschaftsbosse? Ich weiss, alle sind gleich, einige denke aber sie seien gleicher... ;)

"Aber wenn man befürchten muss, dass die Infos den Missstand (zB weil es eine Diktatur betrifft) nur verschärfen, aber nicht beenden können, ist es für mich nicht unbedingt besonders verantwortungsvoll trotzdem einfach alles zu veröffentlichen, auch wenns nur die Wahrheit ist."
Man kann aber die Diktatur dazu zwingen, sich als solche zu erkennen zu geben, und genau das macht Wikileaks. Und damit ist dann schon viel gewonnen. Es geht IMO nicht darum, dass in irgendwelchen veröffentlichten Depeschen zu lesen ist, dass beispielsweise in Nordkorea ach so wenig Demokratie existiert - das wissen wir auch so weil es uns von den Massenmedien dauernd um die Ohren gehauen wird. Aber es geht beispielsweise auch darum, diktatorische und anti-demokratische Machenschaften von Staaten zu zeigen, die sich "Rechtsstaat" und "Demokratie" GANZ gross auf die Fahne geschrieben haben, aber kaum danach handeln.

[edit]
Hierzu noch ein Link: http://alles-schallundrauch.blogspot.com/2010/12/die-anti-wikileaks-propaganda.html


Gruss, Ice
 
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Astaldo

Vampireslayer
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Das nächste Problem ist ja auch, dass erhellende Informationen nur in den "Schein"-demokratien(:rolleyes:) mit ihrem Recht auf Freiheit von Meinung und Presse veröffentlicht werden. Die Leute in den sogenannten Problemgebieten der Erde, die das vlt. erhellend finden würden, haben den Zugang nicht, weil die staatlichen Medien zensieren wo es nur geht. Wie kann man sich sonst erklären, dass der Iran jetzt dazu übergeht, die ganzen Wikileaks-veröffentlichungen den USA in die Schuhe zu schieben? Den Machthabern ist sicher nicht so ganz wohl dabei, dass den eigenen Leuten klar wird, wie gefährlich der Iran auch von den Anreinerstaaten gesehen wird. Gott bewahre es könnten sich ja noch mehr Menschen der Opposition anschließen und auf ein Umdenken zusteuern um der internationalen Isolation zumindest schrittweise mal zu entkommen.

Und statt sich mit Mastercard oder Visa zu beschäftigen könnten sich die sogenannten Wikileaks-Sympathisanten mal mit dem Internet von Zensurstaaten beschäftigen und den Leuten zumindest kurzfristig Informationsfreiheit im www beschaffen, dass wäre wahrhaft heroisch. Diesen Kinderkram den die hier abziehen, bringt ihnen in der Bevölkerung sicher keine Punkte, die Leute sind eher verärgert, wenn ihr Zeug nicht funktioniert etc..
 

David

Moderner Nomade
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Aber diese Angriffe kommen ja nicht von den Wikileaks-Machern selbst, das sind im Zweifel irgendwelche spätpubertären Kids die mal einen auf Rebell machen wollen und sonst nix zu tun haben. (In den NL haben sie wohl einen verhaftet der auch schon gestanden hat, und der ist grade mal 16)
Da steckt ja keine Hierarchie dahinter die das Ganze steuern und mit einem Wort beenden könnte. Auch wenns sicher nichts schaden würde wenn die Verantwortlichen von Wikileaks öffentlich dazu aufrufen würden diesen Unfug zu lassen und wie du sagst die Energie lieber darauf zu verwenden Kopien der Seite möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen.

@Skull:
Klar sind die Bewertungen von solchen Entscheidungen immer subjektiv, wenns einem passt ist der Weg wies zustande gekommen ist zweitrangig. (Siehe die Atomdebatte: Bundesrat beim Ausstieg nicht gefragt: Union böse, Grüne happy, Bundesrat beim Austieg² nicht gefragt: Grüne böse, Union happy..)


Interesannter als die meiner Meinung nach "Stammtisch-gefärbten" Entscheide der Schweiz (dies auch in jedem anderen Land hätte geben können) sind für mich eigentlich sogar die in HH und zum Rauchverbot in Bayern: Beides Fälle wo zumindest der Verdacht naheliegt dass da evtl. eine gut organsierte Minderheit der Mehrheit ihren Willen aufgedrückt hat. Ob das am Ende wirklich im Sinne des Volkes ist kann man zumindest bezweifeln, auch wenn natürlich niemand wissen kann was die Nichtwähler wirklich davon halten.
Klar kann man sagen dass die Nichtwähler selbst Schuld sind, aber andererseits sinds in HH die Kinder die nun im Guten wie im Schlechten zu spüren bekommen dass die Eltern aus den 'besseren Vierteln' eher zur Wahl gegangen sind als die aus den 'Problemvierteln', deren Kindern die Reform eigentlich vor allem helfen sollte.
 
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Ender

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Klar sind die Bewertungen von solchen Entscheidungen immer subjektiv. Interesannter als die meiner Meinung nach "Stammtisch-gefärbten" Entscheide der Schweiz sind für mich aber die in HH und zum Rauchverbot in Bayern: Beides Fälle wo zumindest der Verdacht naheliegt dass da evtl. eine gut organsierte Minderheit der Mehrheit ihren Willen aufgedrückt hat. Ob das am Ende wirklich im Sinne des Volkes ist kann man zumindest bezweifeln, auch wenn natürlich niemand wissen kann was die Nichtwähler wirklich davon halten.
Klar kann man sagen dass die Nichtwähler selbst Schuld sind, aber andererseits sinds in HH die Kinder die nun im Guten wie im Schlechten zu spüren bekommen dass die Eltern aus den 'besseren Vierteln' eher zur Wahl gegangen sind als die aus den 'Problemvierteln', deren Kindern die Reform eigentlich vor allem helfen sollte.
Es konnte jeder zu wahl gehen und ich glaub nicht das die Nichtraucherfraktion Politisch aktiver wahr und darum davonmehr Leute zur Wahl gegangen sind...es ist nur nen größerer Bevölkerungsanteil als die Raucher.
Nur weil sich die Raucher lauter zu wort gemeldet hatten hies nicht das es nicht mehr Nichtraucher gibt/gab die fürs Rauchverbot wahren.
Das ist auch immer das Problem mit Demonstrationen oder dem Internet du bekommst nur mit wer viel Lärm macht.
Diejenigendie den ganzen Lärm machen sind aber nicht unbedingt die Mehrheit.Was nicht heist das diejenigen nicht recht damit haben was sie Fordern aber es bedeutet halt auch nicht das sie wenns zu ner Abstimmung/Wahl kommt siedie Mehrheit bekommen.
 

David

Moderner Nomade
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Nachdem ich selber für das strenge Rauchverbot gestimmt hab hätt ich nichts dagegen wenn das wirklich die Wunsch einer Mehrheit gewesen wäre und deshalb auch bei künftigen neuen Entscheidungen bestätigt werden würde. Aber ich bin trotzdem nicht 100%ig sicher obs nicht eher daran liegen könnte, dass 'militante Nichtraucher' eine deutlich höhere Motivation hatten zur Wahl zu gehen als die die mit der alten Regelung auch gut hätten leben können..

Aus meiner subjektiven Sicht ist der Entscheid in Bayern schon richtig ausgegangen, aber wenn man die möglichen Probleme solcher Entscheide anspricht muss man das halt fairerweise auch da tun wo einem die Ergebnisse passen.
 
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